München - 2030
mit dem gleichen Bett wieder hochkommen. Und dass unterhalb des Bettes dann Frau Schmerling versteckt ist, werden sie ganz sicher nicht mitbekommen. Der Rest ist ein Kinderspiel. In unserer Station richten wir Frau Schmerling etwas her und kleiden sie in teure Klamotten, dann setzen wir sie in einen Rollstuhl und tun so, als ob wir mit ihr Spazieren fahren würden. Die Bewohner von Ebene 1 werden sehr oft von den Angestellten herumgefahren. Und vom Empfang wird niemand misstrauisch werden, wenn einer von uns mit Frau Schmerling das Haus verlässt.«
»Aber wo willst du teure Kleidung für Frau Schmerling herbekommen?«, fragte Charly.
»Ich werde Didi anstiften sie zu besorgen. Der alte Lüstling hat mittlerweile ein Verhältnis mit der Alten mit dem Hund.«
»Du scheinst an alles gedacht zu haben«, stimmte Charly zu – doch je länger Charly sich Victors Idee durch den Kopf gehen ließ, umso mehr Zweifel kamen ihm dabei. Da war etwas, was Victor nicht bedacht hatte. Ihm fiel das Gesicht herunter.
»Es gibt jedoch einen gewaltigen Haken bei der Sache«, wandte Charly ein, »Frau Schmerlings Verschwinden wird nicht lange unentdeckt bleiben. Und sobald sie bemerkt haben, dass Frau Schmerling fehlt, dauert es keine Stunde bis der Verdacht auf uns fällt. Sie brauchen ja nur die Wachmänner zu befragen und schon wissen sie Bescheid. Du weißt ja, was auf Menschenraub steht. Haus Sonnenschein wird sofort die Polizei alarmieren, die Bullen werden uns verhaften und niemand wird uns Glauben schenken. Wir werden solange in Untersuchungshaft schmoren bis wir an Salmonellen-Rudis Essen eingegangen sind. Wahrscheinlich erleben wir nicht einmal mehr den Beginn des Prozesses.«
»Ja, du hast recht«, räumte Victor ein, der sich auch schon darüber Gedanken gemacht hatte.
»Wir müssen nach der Aktion untertauchen.«,
»Wo willst du denn untertauchen, ohne nur einen einzigen Cent zu besitzen?«, wandte Charly ein. »Wir brauchen ein Dach über dem Kopf und von irgendwas müssen wir leben.«
»Wir benötigen halt etwas Geld«, sagte Victor.
»Woher willst du denn Geld nehmen?«, fragte Charly, dem die Gedankengänge seines Freundes immer verworrener erschienen.
Victor zuckte mit den Achseln – doch Charly wurde den Verdacht nicht los, dass er etwas im Schilde führte.
Am kommenden Abend, als sie bereits gegessen hatten, bekam Charly mit, dass sich Victor im Flur seine Jacke überstreifte und im Begriff war das Haus zu verlassen.
»Wohin gehst du?«, fragte Charly.
»Ich geh noch spazieren«, gab Victor zur Antwort. »Es könnte vielleicht später werden, bis ich wieder zurück bin.«
Und bevor Charly weitere Fragen stellen konnte, war Victor hinausgegangen.
»Wo ist Victor hin?«, fragte Susann verblüfft, die mitbekommen hatte, dass Victor das Haus verlassen hatte.
»Keine Ahnung?«, sagte Charly, »er hat gemeint, er gehe spazieren.«
»Der und Spazieren gehen«, sagte Susann mit zweiflerischer Stimme. »Der ist noch nie spazieren gegangen. Da stimmt doch was nicht.«
Je weiter Victor mit dem Bus in die Innenstadt gelangte umso sicherer wurde er sich seines Vorhabens. Das war einfach kein Leben mehr. Die Alten vegetierten in den Straßen, schlimmer als die Ratten. Seit dem Kidneybohnen-Skandal hatte sich die Situation noch einmal verschärft. Alleine während der Bus die Landsberger Straße entlangfuhr hatte Victor zwei Überfälle auf Einzelpersonen mitbekommen – das eine Mal hatte ein heruntergekommener Greis einem Anderen einen Knüppel über den Kopf gezogen und sich dann mit einem geübten Handgriff dessen Brieftasche aus der Jacke gestohlen. Und bei dem zweiten Überfall hatte Victor gesehen, wie ein Alter, einer Omi die Handtasche stahl – die wohl leicht senile Greisin hatte den Diebstahl jedoch nicht bemerkt – der Dieb hatte die Tasche unterhalb des Henkels mithilfe einer Schere durchtrennt, sodass die Alte noch immer, den Henkel festumschlossen in der Hand haltend, ihren Weg fortsetzte. Während der Dieb mit der Tasche längst über alle Berge war.
Und als der Bus an einer Ladenzeile vorbeikam, hatte Victor auch noch die Plünderung eines Geschäftes
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