München - 2030
registriert.
Obwohl Nahrung und Wohnraum immer knapper wurden, nahm die Zuwanderung noch zu. Täglich strömten mehrere tausend Alte nach München. Das ganze Land litt unter der Überalterung. Die Wirtschaftslage war katastrophal und die Arbeitslosigkeit betrug nun auch im Norden mehr als dreißig Prozent. Dazu war die Zahl der Arbeitslosen steigend. Die Lage würde sich noch weiter verschlechtern. Selbst diejenigen die Kinder im Norden hatten wurden von ihnen verstoßen. Niemand wollte mehr etwas mit den Alten zu tun haben. Das Bild der Alten war gänzlich ins Negative gerückt. Für den Rest der Bevölkerung trugen die Alten die Schuld an der Misere. Die Gier, die sie während der fetten Jahre an den Tag gelegt hatten, die Ausbeutung der Ressourcen, und das nicht Sorge tragen für die nächste Generation – war alles ihnen anzulasten. Dementsprechend war auch der Umgang mit ihnen. Die Alten wurden wie Aussätzige behandelt. Man konnte von Glück sprechen, dass man sie überhaupt noch am Leben ließ. Und in der Tat gab es mittlerweile schon Forderungen rechtsnaher Gruppierungen die verlangten, die Nahrungsmittellieferungen in den Süden einzustellen. Ein besonders radikaler Redner, hatte während einer Ansprache im Fernsehen gefordert.
»Sollen sie die Erde fressen, die sie verseucht haben. Aber von uns, keine Bohnen mehr für den Süden!«
Der Fernsehbericht über Mauritius hatte Victor auf eine Idee gebracht, die er während seines Lebens immer wieder gehabt, aber nie verwirklicht hatte – auszuwandern. Es war schon lange sein Traum gewesen, einmal dorthin zu ziehen, wo ein besseres Klima herrschte und es Sonne, Sommer und Meer gab. Außerdem hatte Victor in dem Filmbericht noch etwas anderes wahrgenommen, das ihn tief berührt hatte – und was er in dieser Art schon lange nicht mehr gesehen hatte – das friedvolle, ja sogar fröhliche miteinander zwischen Jungen und Alten. Sie hatten Bilder gezeigt wo Kinder, Heranwachsende, junge Erwachsene und mittelalte Menschen mit den älteren Generationen zusammengesessen, sich unterhalten und sogar gelacht hatten. Victor hatte auch gesehen, dass die Jungen sich nicht nur mit den Alten abgaben, sondern, dass alte Menschen auch sehr respekt- und würdevoll behandelt wurden. Etwas, das es hierzulande, oder besser gesagt in der gesamten westlichen Welt, schon lange nicht mehr gab.
Victors Generation hatte auf das falsche Pferd gesetzt. Der Konsum war ihre Religion gewesen. Immer mehr, immer besser, und immer schneller sollte alles sein. Shopping-Center waren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Und Urlaube gingen in die entlegensten Winkel der Welt. Lifestyle und Spaßfaktor standen an vorderster Stelle dieser Generation. Wer mithalten wollte, war gezwungen auf Kinder zu verzichten; wer sich hingegen für Kinder entschied, ging das Risiko ein, zum Sozialfall zu werden.
Aber dies war nur ein Grund für die Überalterung. Auch die gestiegene Lebenserwartung hatte die Zahl der Alten in der Gesellschaft nach oben schnellen lassen.
Doch für das Kollabieren der Wirtschaft zeigte sich noch etwas anderes verantwortlich:
Jahrelang hatten sich die Unternehmen gegenseitig versucht zu Überbieten – es wurde immer mehr und billiger produziert. Aus Konkurrenzgründen hatten die Firmen ihre Produktionsstätten in Billiglohnländer verlegt – und aus Steuerersparnisgründen ihre Sitze ins Ausland.
Gleichzeitig hatte sich Südeuropa ein weiteres Aus durch den Floppenden Euro geschaffen.
Während das kränkelnde Amerika infolge mehrerer Finanzkrisen langsam aber sicher seine Vormachtstellung verlor – jetzt waren die Amerikaner pleite und ebenso überaltert.
Auf der anderen Seite hatte China die Geburtenkontrolle zu Gunsten einer neu propagierten Drei-Kind-Politik aufgelockert.
Der Wirtschaftsboom hatte sich in China fortgesetzt und die westlichen Unternehmen hatten ihnen sogar noch ihre Fabriken hingetragen und das technische Knowhow dazu geliefert.
Womit niemand ernsthaft gerechnet hatte, das war beinahe über Nacht passiert. Die Machtverhältnisse hatten sich verschoben:
Jetzt belegte China den Spitzenplatz der Global-Player. Und mit ihnen waren die Drittweltstaaten und die ehemaligen Kolonien an der Reihe.
Hätten die Verantwortlichen ein bisschen in ihren Geschichtsbüchern geblättert, hätten sie den eintretenden Wandel mit Leichtigkeit voraussehen
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