Münsterland ist abgebrannt
Die Hitze strahlte ebenfalls von der Tür her. Ein Knacken, als ob das Treppenhaus in Flammen stehen würde.
Adrenalin schoss durch Weigolds Körper, lichtete den Nebel in seinem Gehirn. Das Haus brannte. Die Scheißtypen hatten sein schönes Haus angezündet. Und es reichte ihnen nicht, das Gebäude abzufackeln, sie wollten Karin und ihn grillen. Mörder waren das, gottverdammte, beschissene Mörder.
Aber noch lebte er. Weigold stand auf und machte einen Schritt auf die Tür zu. Nein, er durfte die Tür nicht öffnen. Er hatte mal gelesen, dass es in solchen Fällen zu einem Flash-over kommen konnte, zu einem Feuerstoß, der sofort alles im Zimmer in Brand setzen würde. Also das Fenster. Frische Luft brauchte er sowieso. Er hustete, das Kohlendioxid raubte ihm den Atem. Von der Fensterkante aus waren es gut drei Meter fünfzig bis zum Erdboden. Unmöglich, Karin da heil hinunterzubekommen. Falls nicht bald die Feuerwehr auftauchte. Weigold lauschte: Hörte sich das nicht wie ein Martinshorn an?
Verdammt, warum ließ sich das Fenster nicht öffnen? Irgendwas hatte sich verzogen. Er riss mit aller Kraft und taumelte zurück. Fassungslos schaute Weigold auf den Fenstergriff in seiner Hand. So viel Unglück auf einmal war doch gar nicht möglich.
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Neun
Bastian hatte sich entschieden, er wollte den Jungen retten. Der Junge lag auf dem Steinboden, eine brennende Kiste beleuchtete sein Gesicht. Er war schlank, beinahe zierlich und sah aus wie zwölf, konnte aber auch älter sein. Es würde für Bastian ein Leichtes sein, ihn hochzuheben und aus dem Haus zu tragen. Er beugte sich hinunter und griff nach dem Arm des Jungen. Doch trotz größter Anstrengung gelang es ihm nicht, den dünnen Arm auch nur einen Zentimeter anzuheben. Es war wie verhext, er keuchte und schwitzte. Wieso klebte der Junge fest? Dann brach die Zimmerdecke ein und hüllte alles in Staub. Bastian spürte den Schmerz, etwas Schweres lag auf seinem Bein. Er versuchte, das Bein zu bewegen, wieder und wieder. Panik erfasste ihn. Er würde hier sterben, in diesem brennenden Haus im Kosovo.
Bastian fuhr hoch und schnappte nach Luft. Er brauchte ein paar Sekunden, um sich zurechtzufinden. Durch die fadenscheinigen blauen Vorhänge sickerte das erste Tageslicht in sein ehemaliges Jugendzimmer. Das schmale, unbequeme Bett, die Fußball- und Filmposter an den Wänden, der lächerlich kleine Schreibtisch mit dem Drehstühlchen davor – seine Mutter hatte in den letzten fünfzehn Jahren anscheinend nichts verändert. Dass er in diesem Raum die Nöte und Hoffnungen der Pubertät durchlebt hatte, dass er hier viele Tage und noch mehr Nächte verbracht hatte, das alles kam ihm vollkommen unwirklich vor. Mit dem Jungen, der da am Schreibtisch gesessen und über Matheaufgaben gegrübelt hatte, verband ihn nicht das Geringste. Jedes Alien würde sich hier heimischer fühlen als er. Es war einfach eine schlechte Idee gewesen, im Haus seiner Mutter zu übernachten. Typisch für Mia, dass sie mit tödlicher Sicherheit die für ihn unangenehmste Lösung vorgeschlagen hatte.
Bastian ging ins Badezimmer und spritzte sich Wasser ins Gesicht und auf den nackten Oberkörper. Die Luft im Wohnzimmer roch nach kaltem Altfrauenschweiß. Er riss die Gartentür auf, draußen lag eine herrliche Frühmorgenkühle auf den verwelkten Blumen. Barfuß und nur mit Boxershorts bekleidet, stapfte er über die Steinplatten zwischen den akkurat gezogenen Beeten. Der Garten schien ebenfalls geschrumpft zu sein, wie das Haus und seine Bewohner. Bastian erinnerte sich, dass sein Vater am Samstag immer im Garten gearbeitet hatte, dann durften Mia und er nicht herumspringen, sondern mussten still sein oder sich in den Wald verziehen. Der Feenwald, wie Mia ihn nannte. Bastian stellte sich lieber vor, im Sherwood Forest oder einem der Wälder aus
Herr der Ringe
herumzustreunen. Das Angenehme an den Samstagen war, dass der Vater bei der Gartenarbeit den schwarzen Anzug, das weiße Hemd und den schwarzen Schlips auszog, die er immer trug, wenn er Leichen einsammelte. Bastian bildete sich ein, dass das ganze Haus nach Leichen roch, sobald der Vater vom Bestattungsinstitut nach Hause kam.
Er ging zurück ins Wohnzimmer. Die Zeiger der geräuschvoll tickenden Uhr standen auf halb sechs. Viel zu früh, um sich anzuziehen und Frühstück zu machen. Widerwillig legte er sich noch einmal aufs Bett, wissend, dass er nicht mehr schlafen würde. Annika Busch kam ihm in den Sinn.
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