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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kehrer
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für ihr Alter recht gut aus, die Haut straff, der Bauch glatt. Sie ernährte sich gesund und in Maßen, den Rest erledigte der Stepper, auf dem sie sich fit hielt. Und sie wusste genau, auf welche Knöpfe sie bei den Männern drücken musste, jung wie alt, da waren sie doch alle gleich. Mit Charme und Klasse kriegte sie jeden rum. Bei den jüngeren Männern kam noch hinzu, dass sie die Erfahrung einer reifen Frau schätzten. Ältere Frauen wie sie verzichteten auf Gezicke und Hingehalte, die Frage nach einer langfristigen Beziehung stand gar nicht erst im Raum, da ging es um Sex pur, wild und hemmungslos. Anschließend ging jeder seiner Wege.
    Wäre Helene allein auf der MS Albertina gewesen, hätte sie eine Affäre in Betracht gezogen. Sie überlegte, ob ihr Favorit mit der blonden Frau an seiner Seite liiert war oder ob die Blonde mit dem zweiten Mann des Trios ins Bett ging. Vielleicht waren die drei auch bloß Freunde oder Geschäftspartner. So voneinander distanziert, wie sie über den Kai zur Gangway schlenderten, sahen sie nicht aus wie ein Liebespaar mit Begleitung.
    Aber davon abgesehen, ob der Kurzhaarige für ein Liebesabenteuer zu gewinnen war oder nicht – Helene Lambert reiste nun mal nicht allein, sie war in Begleitung ihres Sohnes Frederik und ihres persönlichen Assistenten Rafael van Meulen. Der Geschäftsbetrieb ihrer Firma in Lengerich machte keine Pause, und obwohl sie fähige Leute in der Leitung installiert hatte, wollte sie ständig informiert sein und wichtige Entscheidungen selbst treffen. Dafür brauchte sie Personal an Bord. Doch mehr als mögliches Gerede in der Firma fürchtete Helene die Missbilligung ihres Sohnes, falls sie sich mit einem Mann einließ, der kaum älter war als Frederik selbst. Frederik trauerte nun mal dem Mann nach, den er für seinen Vater hielt, darauf musste sie, wohl oder übel, Rücksicht nehmen.
    Helene Lambert hob den Blick und schaute vom alten Hafen zur Innenstadt hinüber. Der Dom, eine Holzkirche aus dem neunzehnten Jahrhundert, überragte die Geschäftshäuser, stadtauswärts überspannte eine buckelförmige Brücke den Tromsø-Sund. Der dahinterliegende Hügel, auf dem die moderne, ganz in Weiß gehaltene Eismeer-Kathedrale stand, war von einer Wolke verdeckt.
    Wo immer es sich vermeiden ließ, verzichtete Helene auf die vom Reiseunternehmen angebotenen Ausflüge. Sie verabscheute es, im Gänsemarsch an Sehenswürdigkeiten vorbeizupilgern, Smalltalk über das Wetter und die Landschaft zu halten oder sich im Bus von einheimischen Reiseführern heruntergeleierte Anekdoten über Land und Leute anzuhören. Und da Tromsø zwar die norwegische Nordmeermetropole, nach mitteleuropäischen Maßstäben aber nur eine kleine, mit dem Fahrrad einfach zu erkundende Stadt war, hatten sich Helene und Frederik zwei schiffseigene Räder geliehen und waren einige Stunden herumgefahren. Auf dem Markt in der Innenstadt kauften sie ein paar Mitbringsel, anschließend überquerten sie die lange Brücke, um sich die Eismeer-Kathedrale anzuschauen. Dort blieben sie allerdings nicht lange. Als eine Busladung ihrer Mitreisenden auftauchte, ergriffen sie spontan die Flucht.
    Rafael, ihr Assistent, war unterdessen an Bord geblieben. Aus der Heimat kamen beunruhigende Nachrichten, da wollte Helene auf dem Laufenden bleiben. Erst vor ein paar Tagen hatte sich Mergentheim erhängt, und jetzt war auch noch Christian Weigold in seinem Haus verbrannt. Auf einen Schlag hatte Helene ihre beiden Mitgesellschafter verloren.
    Mit Mergentheim, dem eitlen Selbstdarsteller, hatte sie sich oft gestritten. Trotzdem verdankte sie ihm den Aufstieg des Unternehmens. Andere Banken hatten damals abgewinkt, als sie ihnen die Geschäftsidee vorstellte. Kapital für etwas zur Verfügung zu stellen, das noch nicht aus dem Stadium der Forschungsarbeit herausgekommen war, erschien den phantasielosen Zahlenfetischisten zu riskant. Nur Carl Benedikt Mergentheim erkannte das Potenzial, das in ihrer Entdeckung steckte. Er hatte den Kreditausschuss der Münsterländischen Privatbank überzeugt, der Firma Lambert-Pharma eine großzügige Kreditlinie einzuräumen. Allerdings mit einer kleinen Geheimklausel, die nicht im offiziellen Vertrag auftauchte: Sollte sich Lambert-Pharma so entwickeln, wie Helenes Business-Pläne es vorsahen, würde Mergentheim ein Drittel der Unternehmensanteile zu einem festgelegten, sehr moderaten Preis erhalten. Persönlich.
    Und so war es gekommen. Lambert-Pharma hatte sich mit seinem

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