Münsterland ist abgebrannt
Nischenprodukt glänzend auf dem Markt behauptet, die Gewinne waren raketengleich nach oben geschossen. Konsequenterweise hatte Mergentheim seinen Anteil eingefordert. Dabei betrübte Helene nicht so sehr der Schnäppchenpreis, mit dem sich der Banker einkaufte, sondern seine anschließenden Versuche, sich in ihre Geschäftsführung einzumischen. Was Helene nämlich überhaupt nicht ausstehen konnte, war ein Mann, der glaubte, etwas besser zu wissen als sie selbst. Insofern hielt sich ihre Trauer über Mergentheims Tod in Grenzen.
Nur war leider für die Zukunft keine Besserung zu erwarten. Wie es aussah, würde die Führung der Münsterländischen Privatbank vom Vater auf den Sohn übergehen, sehr wahrscheinlich übernahm Veit Constantin Mergentheim ebenso die Verwaltung des Privatvermögens der Familie und damit die Anteile an Lambert-Pharma. Die wenigen Male, bei denen Helene diesem anzugtragenden Affen begegnet war, hatten in ihr die Gewissheit wachsen lassen, dass der junge Mergentheim noch nerviger sein konnte als sein Vater.
Anders verhielt es sich im Fall Christian Weigold. Er war mit seiner Frau im Haus verbrannt, und die einzige Tochter lebte – soweit Helene wusste – in den USA . Vermutlich würde es nicht allzu schwierig sein, der Alleinerbin ihre Firmenanteile abzukaufen, dann hätte Helene die Kontrolle über zwei Drittel von Lambert-Pharma und könnte die Ratschläge von Mergentheim junior von sich abperlen lassen. So gesehen steckte auch in dieser doppelten Tragödie eine positive Seite.
Jemand klopfte an die Kabinentür. Helene drehte sich widerwillig um. Für die Kanapees, die das Zimmermädchen immer vor dem Abendessen brachte, war es noch zu früh. Und mit Frederik hatte sie sich um einundzwanzig Uhr im unteren Restaurant auf dem dritten Deck verabredet. An
ihrem
Fensterplatz, den der Restaurantchef für sie frei hielt. Um diese Uhrzeit hatte das gemeine Volk den Saal schon weitgehend verlassen und vergnügte sich im Theater oder an den Bars. Auf solche Weise verschaffte sich Helene doch noch einen Hauch von Exklusivität.
Die Firmenchefin ging durch den Wohnraum der Suite und bemühte sich, die floralen Muster der Polstermöbel zu ignorieren. Wie eine Kreuzfahrtgesellschaft von internationalem Ruf ihre Luxuskabinen derart kitschig ausstatten konnte, war ihr jeden Tag erneut ein Rätsel. Es klopfte zum zweiten Mal.
«Wer ist da?», fragte Helene gereizt.
«Rafael.»
Sie öffnete die Tür. «Komm rein.»
Mit Rafael hatte sie nach ihrer Fahrradtour alle aktuellen geschäftlichen Dinge besprochen und ihm für den Rest des Tages frei gegeben. Allerdings galt das nur eingeschränkt, denn es konnte sein, dass sie am späteren Abend noch Lust auf ihn bekam. An Rafael schätzte Helene nämlich nicht nur seinen Uni-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und den wachen Verstand, sondern auch seinen schlanken Körper, den bleichen Teint und die kohlrabenschwarzen, glänzenden Haare. Dafür, dass er ihr gelegentlich mit vollem Einsatz zur Verfügung stand, erhielt Rafael Boni, die denen der Vorstandsmitglieder in nichts nachstanden. Und Spaß bei ihren gemeinsamen Stunden hatte er obendrein, da war sich Helene sicher. Männer konnten in dieser Hinsicht nicht so gut lügen wie Frauen.
«Was gibt es?»
Rafael sah noch bleicher aus als sonst. Als hätte ihn etwas aufgewühlt. «Die Polizei in Münster hat angerufen.»
«Hier?»
«Zuerst in Lengerich. Dort hat man ihnen meine Nummer gegeben.»
«Und?»
«Sie sagen, Mergentheim ist ermordet worden.»
«Tatsächlich?»
«Nachträgliche Untersuchungen hätten das ergeben. Irgendwelche Substanzen in seinem Blut.»
«Interessant», sagte Helene.
«Du nimmst das ziemlich leicht», stellte Rafael fest. «Zusammen mit Christian Weigold und seiner Frau sind das schon drei Mordopfer in deinem Umfeld.»
Helene bemerkte das leichte Zittern in Rafaels Stimme. Zu ihrer eigenen Überraschung erregte sie seine Verunsicherung. Oder lag das daran, dass sie sich vorhin vorgestellt hatte, mit dem jungen Burschen im Bett zu liegen?
«Zweifellos ist das erschütternd», sagte Helene. «Aber so nah standen mir die drei nun auch wieder nicht. Oder sagen wir: nicht mehr.»
«Die Polizei sieht das anders.»
Nun wurde Helene hellhörig: «Was heißt das?»
«Der Polizist, ein gewisser Hauptkommissar Fahlen, hält es für möglich, dass eine Verbindung zwischen den Morden besteht.»
«Und die Verbindung soll Lambert-Pharma sein?» Helene dachte einen Moment nach
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