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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kehrer
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herumzuhopsen.
    Helene blieb stehen, das Gesicht ihrem einzigen Kind zugewandt. Nach einer Minute wurde sie von Frederik bemerkt. Zuerst entgleisten seine Gesichtszüge, dann fing er sich und lächelte in ihre Richtung. Helene lächelte nicht.
    Frederik tippte Blondie, die immer noch ihre Mähne schüttelte, auf die Schulter. Das musste man ihm lassen, er machte nicht den Versuch, seine Zufallsbekanntschaft zu verheimlichen.
    Wie zwei Schüler, die von ihrer Lehrerin beim Abschreiben erwischt worden waren, trotteten sie zu ihr.
    Frederik schaute seine Mutter treuherzig an: «Ich dachte, du bleibst in der Kabine.»
    «Ich hab’s mir anders überlegt.»
    «Das ist übrigens Rike.»
    Helene sagte nichts und behielt ihre Hände in den Taschen der Windjacke. Die Blonde konterte mit einem giftigen Lächeln.
Du kannst mich nicht einschüchtern
, sollte das wohl bedeuten.
    «Kann ich dich unter vier Augen sprechen, Frederik?»
    «Hat das nicht Zeit bis morgen?»
    «Nein.»
    Helene wartete seine Reaktion nicht ab, sie wusste, dass Frederik ihr folgen würde. Über die Außentreppe stieg sie zum Sonnendeck hinauf. Hier oben unter freiem Himmel waren sie allein, der kräftige Wind hatte die übrigen Kreuzfahrtpassagiere längst auf die unteren Decks gespült. Helene fand eine windgeschützte Ecke zwischen Tages-Bar und Golfplatz.
    «Was soll das?» Frederik gab seine Zurückhaltung auf und fauchte sie wütend an. «Ich bin kein Kind mehr. Ich bin erwachsen und kann tun und lassen, was ich will.»
    «Natürlich kannst du vögeln, wen du willst. Von mir aus auch dieses blonde Flittchen.»
    «Rede nicht so über sie.»
    Helene lachte bissig. «Sonst was? Du hast sie erst vor einigen Stunden kennengelernt. War es nötig, sie gleich in deine Kabine mitzunehmen?»
    «Das musst du gerade sagen.»
    Diesen gehässigen Ton kannte Helene noch nicht. «Was soll das heißen?»
    «Denkst du, ich habe nicht gesehen, wie du Rikes Bekannten angebaggert hast?»
    Helene schnaufte vor Entrüstung. «Ich habe versucht, ein bisschen Smalltalk mit ihm zu machen. Das war alles.»
    «Du hast ihn angegrapscht. Wie peinlich ist das, wenn man mit ansehen muss, wie die eigene Mutter jemanden angräbt, der so alt ist wie man selbst.»
    «Dein Benehmen gefällt mir nicht, Frederik.»
    «Und was hast du vor, dagegen zu unternehmen? Mich auf der nächsten Insel aussetzen, an der wir vorbeikommen?»
    Helene spürte, wie ihr Magen revoltierte. Frederiks Renitenz war reines Gift für ihre gereizten Eingeweide. «Hör auf damit, Frederik. Das Einzige, um was ich dich bitte, ist, ein wenig Zurückhaltung zu üben. Ich möchte nicht vor den anderen Gästen kompromittiert werden. Also verzichte bitte darauf, dein Betthäschen zu unseren gemeinsamen Unternehmungen mitzubringen. Sie wird nicht mit uns zu Abend essen, das ist dir hoffentlich klar?»
    «Das ist deine größte Sorge?», höhnte Frederik. «Von mir kompromittiert zu werden?»
    «Vergiss nicht, wer die Reise bezahlt. Deine Kabine gehört zur zweithöchsten Kategorie.»
    «Nein, das vergesse ich nicht, Mama. Bei dir definiert sich ja alles über Geld.»
    «Im Gegensatz zu dir, wie?»
    «Danke», parierte Frederik. «Immerhin benutze ich Geld nicht, um andere zu quälen. So wie du Papa gequält hast.»
    «Lass deinen Vater aus dem Spiel.»
    «Immer und immer wieder hast du ihm unter die Nase gerieben, dass
du
die Firma aufgebaut hast, dass
du
für den Wohlstand der Familie sorgst. Du hast ihn gedemütigt, wo du nur konntest. Selbst als es ihm gelang, mit seinen Bildern eine große Ausstellung zu organisieren, konntest du dir nicht verkneifen, ihn wissen zu lassen, dass er seinen Erfolg
deinen
Beziehungen zu verdanken hat.»
    «Frederik …»
    «Hast du vergessen, woran er gestorben ist?»
    «Dein Vater ist an einem Herzinfarkt gestorben.»
    «Nein, er ist daran gestorben, dass du ihm das Herz gebrochen hast.»
    Den letzten Satz spuckte er ihr regelrecht ins Gesicht, bevor er sich umwandte. Für einen Moment glaubte Helene, die wehenden Haare von Rike zu sehen, als Frederik hinter dem mächtigen Schornstein verschwand. So hatte sie ihren Sohn noch nie erlebt. Sie musste sich dringend überlegen, welche Reaktion darauf angemessen war. Aber zuerst würde sie sich erholen und Kräfte sammeln. Aus dem Magen schwappte eine saure Flüssigkeit in ihren Mund. Helene unterdrückte den Impuls, die Säure auszuspucken, und schluckte sie tapfer wieder hinunter. Frederik würde sich noch wundern.

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