Münsterland ist abgebrannt
rußgeschwärzt.
«Scheiße», sagte der Taxifahrer und drehte hektisch an einigen Knöpfen oberhalb der Mittelkonsole. Die Klimaanlage blies bestialischen Rauchgestank ins Innere.
Bastian zahlte den Fahrpreis, stieg aus und übergab sich in den Vorgarten von Frau Kemminger.
Seine Mutter lebte. Durch die geöffneten Türen eines Rettungswagens konnte Bastian erkennen, wie sich ein Notarzt und eine Sanitäterin um sie bemühten. Auf ihrem Gesicht klemmte eine Sauerstoffmaske, ein Arm hing an einem Tropf. Mia stand vor dem Rettungswagen und beobachtete das Geschehen.
«Wie geht’s ihr?», fragte Bastian seine Schwester.
«Der Arzt sagt, sie kommt durch. Eine Rauchgasvergiftung. Aber ihr Kreislauf ist im Keller.» Mia schnüffelte. «Du stinkst. Hast du getrunken?»
«Ein bisschen.»
Bastian kletterte in den Wagen. Der Arzt warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.
«Ich bin der Sohn …» Er deutete auf seine Mutter, die nichts von dem, was um sie herum geschah, zu realisieren schien.
«Lassen Sie uns unsere Arbeit machen.»
Abwehrend hob er die Hände. «Kein Problem.»
Hilde sah fast durchsichtig aus, die Haut nur eine wächserne Hülle. Wie klein und schmal sie geworden war. Bastian streichelte ihre Hand, Tränen liefen ihm über das Gesicht.
«Wir müssen sie jetzt ins Krankenhaus bringen», erklärte der Arzt. «Ihre Schwester hat sich bereit erklärt, uns zu begleiten. Leider haben wir nur für eine Person Platz.»
«In Ordnung.» Bastian hüpfte auf die Straße und blieb irgendwie auf den Beinen. «Was ist passiert?», fragte er Mia.
«Sie hat vergessen, den Herd auszustellen, und vermutlich irgendetwas Brennbares auf die heiße Platte gestellt. Ich habe dir gesagt, dass es so nicht weitergeht.»
«Ich weiß.»
«Wann lernst du endlich mal, Verantwortung zu übernehmen, Bastian? Ich bin es so satt, mich allein um alles kümmern zu müssen.»
«Tut mir leid.»
«Hoffentlich wirst du bald erwachsen.» Mia stieg in den Rettungswagen. Die Türen klappten zu, der Wagen raste mit eingeschalteter Sirene davon.
Bastian taumelte. Einige Feuerwehrleute beobachteten ihn ohne sichtbare Gefühlsregung. Er fing sich wieder und tastete nach seinem Handy. Zu Hause vergessen. Was sollte er jetzt machen? Er hatte einfach nicht die Kraft, jemanden um Hilfe zu bitten.
Sein Blick fiel auf die dichten Bäume im
Herrenholz
. Als Kind hatte er oft darüber nachgedacht, wie es wäre, im Wald zu übernachten. Ganz allein unter einem Baum.
Er ging los.
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Sechzehn
Helene Lambert hing über der Toilette und spuckte Krabbenfleisch in die schlicht designte Plastikschüssel. Daran, dass sich die MS Albertina sanft auf und ab bewegte, lag es nicht, dass ihr übel war. Der Kreuzfahrtdirektor, der mit seiner einschmeichelnden, leicht schwäbelnden Stimme jeden Tag mindestens zwei Mal über die Lautsprecheranlage zu den Passagieren sprach und dabei die neuesten Wettermeldungen zum Besten gab, hatte die Seegangstärke mit drei bis vier angegeben. Das war fast nichts, da hatte Helene auf kleineren Schiffen schon ganz andere Stürme überstanden. Nein, die Ursache ihres Unwohlseins besaß acht lange, staksige Beine. Die verdammten Königskrabben, von deren köstlichem, in Meerwasser gekochtem Fleisch sie viel zu viel verschlungen hatte, bereiteten ihr Magenschmerzen.
Helene Lambert zog sich am Waschbecken hoch und schaute in den Spiegel. Mein Gott, sie sah wirklich furchtbar aus. Dunkle Ringe unter den Augen und Falten so tief, dass kein Make-up sie verschlucken konnte. Diesen Anblick mochte sie niemandem an Bord zumuten, das vereinbarte Treffen mit Frederik würde sie notgedrungen absagen müssen.
Erneut stieg eine Übelkeitswelle aus dem Magen hoch. Helene unterdrückte den Brechreiz. Was genug war, war genug, sie wollte sich nicht noch einmal übergeben. Mit langsamen Schritten, dabei tief einatmend, durchquerte sie das Wohnzimmer. Vorsichtig streckte sie sich auf dem Sofa aus. Ja, so ließ es sich aushalten. Wenn’s sein musste, bis zum Morgen. Hinter den großen Panoramafenstern stand die Sonne tief am Horizont. Vielleicht sorgte die Passage der Bäreninsel, die der Kreuzfahrtdirektor versprochen hatte, noch für ein kleines nächtliches Highlight. Seit ein paar Tagen, seit die Sonne gar nicht mehr unterging, hatte Helene ohnehin Schlafprobleme. Die Helligkeit, die sich auch mitten in der Nacht an den Vorhängen vorbei in die Kabine stahl, durchlöcherte ihren chronisch fragilen Schlafrhythmus. Also
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