Münsterland ist abgebrannt
mal ein nervöses Zucken. Unbeirrt starrte er weiter aufs Meer hinaus, als gäbe es dort etwas zu sehen, das mit einer attraktiven Frau im besten Alter konkurrieren konnte. Entweder war der Typ stockschwul oder hohl wie ein Lüftungsschacht.
Vermutlich war die schlechte Laune, die Helene von diesem Moment an befallen hatte, auch dafür verantwortlich gewesen, dass sie später, als alle im Kreis in dem riesigen Zelt saßen und an Krabbenbeinen nagten, eine Unmenge von dem weißen, proteinhaltigen Fleisch vertilgt hatte. Irgendwie musste sie sich ja ablenken, nicht nur von Julian, sondern auch von dem Geschwafel des schweinsköpfigen Mannes an ihrer rechten Seite, der unentwegt von seinen unbedeutenden Reisen in noch unbedeutendere Weltgegenden erzählte. Helene stopfte Krabbenfleisch in sich hinein, verlangte nach rosa Pfeffer, den es in der primitiven Fischerküche natürlich nicht gab, und angelte sich ein neues Krabbenbein.
Irgendwann, ihr war schon ein wenig übel, entweder vom vielen Essen oder von der Mundgeruchaura des Schweinskopfs, fiel Helene auf, dass Frederik das Zelt verlassen hatte. Und nicht nur er, auch die blonde Freundin des schweigsamen Julian. Helene stand auf, drückte einem kräftigen norwegischen Mädchen ihr Holzbrett mit den Krabbenüberresten in die Hand und machte sich auf die Suche.
Draußen herrschte Dämmerung. Jedenfalls kam es Helene so vor. Tatsächlich war der graue Himmel nicht dem Sonnenstand, sondern den Wolken geschuldet, die sich vor die Polarsonne geschoben hatten. Schwarz vor milchigem Hintergrund zeichnete sich eine Herde Rentiere ab, die über den Kamm einer Hügelkette jagte. Und neben dem großen Wasserbecken, in dem die Fischer die Königskrabben zwischengelagert hatten, bevor diese in kochendes Wasser geworfen wurden, standen Frederik und die Blondine. Helene kannte den Blick, mit dem die Blonde Frederik anschaute, und er gefiel ihr gar nicht. Was um alles in der Welt hatte Frederik getan, dass sich dieses überaus durchschnittliche Mädchen so schnell in ihn verliebte?
Während der Rückfahrt zum Hafen von Honningsvåg spürte Helene bereits, wie es in ihrem Magen rumorte. Schweigend erduldete sie die Luftsprünge des Schlauchbootes, um sich anschließend so schnell wie möglich ihrer Schutzkleidung zu entledigen und auf die Albertina zurückzukehren. Und dann hing sie auch schon über der Unterdrucktoilette in ihrem Badezimmer.
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Das Telefon klingelte. Helene hangelte nach dem Hörer. «Ja?»
«Ich bin’s, Frederik. Kommst du noch zur Party auf dem Achterdeck?»
Jeden Abend gab es eine Party. Gestern war die Polartaufe gefeiert worden, heute wurde der Abschied von Europa begangen. «Nein, ich glaube nicht, ich bin müde.» Sie schaute auf ihre Uhr: schon nach Mitternacht.
«Okay, wollte ich nur wissen.»
War das eine Frauenstimme im Hintergrund? Hatte sich die blonde Schlampe bereits in seiner Kabine einquartiert? «Frederik, alles in Ordnung?»
«Natürlich, Mama.»
«Bist du allein?»
Frederik lachte. «Wer soll denn bei mir sein?»
Lügen konnte er noch nie.
Helene legte auf und stellte die Füße auf den schwankenden Schiffsboden. Der Magen hatte sich einigermaßen beruhigt, sie schaffte es ohne Komplikationen bis zur Kabinentür. Kaum hatte sie die Tür einen Spaltbreit geöffnet, hörte sie auch schon Stimmen, die sich auf dem Gang entfernten: Frederik und die Blondine. Mit dem Anruf hatte sich Frederik nur vergewissern wollen, dass sie bei der Party nicht von seiner Mutter gestört wurden. Aber da hatte er sich verrechnet. Helene fand, dass es an der Zeit war, ein ernstes Wort mit ihrem Sohn zu reden.
Sie setzte eine große Sonnenbrille auf und schlang sich einen bunten Turban um den Kopf. Die Aufmachung war so auffällig, dass sie hoffentlich von dem erbarmungswürdig käsigen Gesicht darunter ablenken würde. Derart verkleidet marschierte Helene los, zuerst zur Treppe in der Mitte des Schiffs, dann hinunter auf das Prometheus-Deck. Auf der Außenfläche der Neptun-Bar am Heck des Schiffes standen große Lautsprecherboxen. Der DJ , der tagsüber den penetrant gutgelaunten Animateur gab, spielte mal wieder seine Lieblingsmusik: abgehangene deutsche Schlager. Schon in ihrer Studentenzeit hatte Helene diese seichten Melodien für hoffnungslos antiquiert gehalten, dabei war der DJ gerade mal ein paar Jahre älter als Frederik. Aber der scheute sich auch nicht, schwachsinnige Texte zu grölen und dazu mit seiner blonden Neuerwerbung
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