Münsterland ist abgebrannt
ständig mit den Schultern zu zucken, also starrte er schweigend auf die Tischplatte. Der Tisch mitsamt den vier Freischwingern stand in der Besprechungsecke. Als Leiter der Kriminalinspektion I war Biesinger für das KK 11 und ein Drittel aller übrigen Kommissariate zuständig. Die Sitzecke im Büro gehörte zu den Insignien seiner Macht.
«Mensch, Matt», polterte Brunkbäumer. «Du bist doch nicht blöd. Wieso reitest du dich so in die Scheiße?»
Kommt endlich zur Sache!
, dachte Bastian.
«Sie haben sich mit einer Tatverdächtigen eingelassen», schnappte Biesinger. «Allein das ist problematisch genug. Aber jetzt widersetzen Sie sich den Anweisungen Ihrer Vorgesetzten und versuchen womöglich, die Ermittlungen zu behindern.»
«Hat sich der Tatverdacht denn erhärtet?», fragte Bastian.
«Das steht hier nicht zur Debatte.»
«Für mich schon», widersprach Bastian. «Ich habe Frau Ana nicht als Tatverdächtige, sondern als Rechtsmedizinerin kennengelernt, die an der Ermittlungsarbeit beteiligt war. Ich erinnere mich an eine MK -Sitzung, bei der Frau Ana auf Einladung von Herrn Fahlen referiert hat und der MK -Leiter anschließend eine Tasse Kaffee mit ihr trinken wollte.»
Fahlen lief rot an. «Was willst du mir da unterstellen? Das ist eine Unverschämtheit.»
«Meine Herren!» Biesinger breitete beschwichtigend die Arme aus. «Auf diesem Niveau möchte ich nicht diskutieren.»
«Ich weise nur darauf hin, dass ich nicht der Einzige bin, der Kontakt zu Yasi Ana hatte», schob Bastian hinterher. «Allerdings wird nur mir ein Strick daraus gedreht.»
«Das haben wir verstanden», schaltete sich Brunkbäumer ein. «Aber wir reden hier nicht über die Vergangenheit, Matt, sondern über die Gegenwart. Und gegenwärtig können wir Frau Ana aus dem Kreis der Tatverdächtigen nicht ausschließen.»
Das klang ziemlich defensiv. Wollte ihm Brunkbäumer zu verstehen geben, dass Yasi das Schlimmste überstanden hatte? Und er, Bastian, damit auch?
«Sehr richtig», sagte Biesinger. «Ihr eigenmächtiger Aufenthalt in der Arrestzelle war mit Sicherheit grenzwertig. Trotzdem sind wir aus meiner Sicht noch nicht gezwungen, Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen. Vorausgesetzt, ich betone: Vorausgesetzt, Sie zeigen sich einsichtig.»
«Was heißt das?», fragte Bastian.
«Erstens: Keinen Kontakt zu Frau Ana bis zum Abschluss der Ermittlungen, weder persönlich noch telefonisch noch schriftlich. Das gilt so lange, bis wir Entwarnung geben.»
«Einverstanden», sagte Bastian. Es war ein Deal, der den Chefs erlaubte, ihr Gesicht zu wahren, nichts weiter. Sobald sie Yasi aus dem Arrest entlassen mussten, würde sich sowieso keiner darüber aufregen, ob er sie traf oder nicht.
«Zweitens: Nachdem Sie in den nächsten Tagen Ihre Überstunden abgebaut haben, nehmen Sie eine Woche Urlaub. Danach sehen wir weiter. Voraussichtlich kehren Sie in die K-Wache zurück. Und es gibt keinen Eintrag in Ihre Personalakte.»
«Einverstanden», wiederholte Bastian.
«Gut. Dann sind wir uns ja einig.»
Bastian stand auf. Er wollte nur noch so schnell wie möglich raus.
«Ach, noch etwas», sagte Biesinger. «Sie haben gestern den Termin bei der Psychologin geschwänzt.»
Tatsächlich hatte er die Warmbier völlig vergessen.
«Ich habe mir erlaubt, einen neuen Termin für Sie zu arrangieren.» Der Kriminalrat tat so, als habe er sich für Bastian eine Nettigkeit ausgedacht. «Und zwar …», er schaute auf seine Armbanduhr, «… in zehn Minuten. Danach verlassen Sie bitte das Gebäude. Umgehend.»
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Achtzehn
«Wie geht es Ihnen?»
Eine Frage, auf die normalerweise niemand eine ehrliche Antwort erwartete. Es sei denn, die Fragerin war Psychologin, hatte eine Ausbildung in Gesprächstherapie und sich darauf spezialisiert, posttraumatische Belastungsstörungen zu behandeln. Man sah der Frau mit der rundlichen Figur nicht an, dass sie sich jeden Tag Geschichten von Katastrophen anhören musste. Katastrophen, die sich bei Bundeswehreinsätzen in Afghanistan, bei Polizeiaktionen, die aus dem Ruder gelaufen waren, bei Hausbränden, die nicht rechtzeitig gelöscht werden konnten, bei schwersten Unfällen auf der Autobahn oder auf Zuggleisen unter einem nicht zu stoppenden IC abgespielt hatten. Anna Warmbier redete mit Soldaten, mit Polizisten, mit Feuerwehrleuten, Rettungssanitätern und Lokomotivführern. Und sie blieb, vermutete Bastian, bei allen in derselben Weise freundlich-interessiert und
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