Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kehrer
Vom Netzwerk:
sachlich-distanziert, als könne sie die Geschehnisse, die sich in die Psyche ihrer Patienten eingebrannt hatten, einerseits an sich heranlassen und andererseits am Ende der Sitzung gut verpackt und etikettiert in einem Fach ihres Gedächtnisses ablegen. Man konnte auch sagen: Anna Warmbier war ein Profi. Und das mochte Bastian an ihr.
    Sie war etwa Mitte fünfzig, trug eine graue Pagenfrisur und eine modische schwarze Hornbrille. Seit fast zwei Jahren versuchte er alle vierzehn Tage die Frage, wie es ihm ging, so ehrlich wie möglich zu beantworten.
    «Nicht besonders gut.»
    «Können Sie das etwas präzisieren?» Die Psychologin unterlegte ihre Frage mit einem angedeuteten Lächeln.
    «Meine Mutter wäre fast gestorben, meine Freundin steht unter Mordverdacht, und ich bin knapp einem Disziplinarverfahren entgangen. Und das sind nur die groben Punkte.»
    «Was ist mit Ihrer Mutter passiert?»
    «Sie hat einen Brand in ihrem Haus verursacht und wäre beinahe darin umgekommen.»
    Seit einigen Monaten hatte ein schicker Tablet-Computer die Rolle des Schreibblocks übernommen, auf dem sich die Psychologin handschriftliche Notizen machte. Warmbier gab eine Information ein und forderte: «Erzählen Sie!»
    Bastian berichtete.
    Als er fertig war, fragte die Psychologin: «Was empfinden Sie, wenn Sie an den Abend denken?»
    Bastian überlegte. «Ich schäme mich.»
    «Warum?»
    «Weil ich meiner Mutter nicht geholfen habe. Weil ich zu betrunken war, als es darauf ankam.»
    «Sie hätten ihr auch nicht helfen können, wenn Sie nüchtern gewesen wären.»
    «Vielleicht nicht. Aber ich habe gemerkt, wie mich alle anguckten. Als ob sie mich …»
    «Ja?»
    «… verachten würden.»
    «Verachten Sie sich selbst auch für das, was Sie getan oder nicht getan haben?»
    «Ja. Kann sein.» Bastians Mund wurde immer trockener. Auch nach zwei Jahren Therapie fiel es ihm schwer, über sich selbst zu reden. «Dabei geht es nicht allein um diesen einen Abend. Ich hätte schon vorher gemeinsam mit meiner Schwester etwas unternehmen müssen, genug Warnhinweise gab es ja. Und meine Schwester hat mehrfach deutlich darauf hingewiesen.»
    Warmbier nickte verständnisvoll. «Eine Entscheidung über die eigenen Eltern zu treffen, ist wohl das Schwierigste, was einem Kind abverlangt werden kann. Gestern noch waren Vater und Mutter Autoritäten, denen man sich untergeordnet hat, und heute soll man sie behandeln wie Schutzbefohlene. Ich kenne niemanden, dem so etwas leichtfällt.»
    Bastian hatte den Eindruck, dass ihm die Psychologin einen winzigen Einblick in ihr eigenes Seelenleben erlaubte. Die Vorstellung, dass sie sich trotz ihrer Kenntnisse mit einer störrischen Mutter oder einem halsstarrigen Vater herumschlug, machte ihm mehr Mut als eine ganze theoretische Abhandlung.
    Sie tippte auf die Oberfläche ihres Geräts. Irgendwie vermisste Bastian die Bewegung des Kugelschreibers.
    «Haben sich Ihre Träume in letzter Zeit verändert?»
    «Nein, es geht nach wie vor um die Frau und den Jungen in diesem Haus im Kosovo.»
    «Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen beiden Brandkatastrophen?»
    Bastian schnaubte. «Der ist wohl kaum zu übersehen. In beiden Fällen habe ich versagt. Ich habe zugesehen, wie die Frau und der Junge in den Flammen umkamen. Und bei meiner Mutter habe ich abgewartet, bis ein Unglück passierte.»
    Die Psychologin schaute ihn lange an. «Bei dem Einsatz im Kosovo haben Sie Ihr Leben riskiert. Das ist für mich etwas anderes als zusehen.»
    Er machte eine müde Handbewegung. «Es war zu spät.»
    «Ich würde Ihnen gerne sagen, dass Sie zu streng über sich urteilen. Aber ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen.» Warmbier setzte ein ironisches Lächeln auf. «Dann machen wir Ihr Versagen mal komplett. Wie war das mit Ihrer Freundin?»
    Bastian ließ nur ein paar sexuelle Details aus, ansonsten erzählte er die ganze, gar nicht so lange Geschichte von der ersten Begegnung mit Yasi Ana in der Rechtsmedizin bis zur letzten an diesem Vormittag in der Arrestzelle. Warmbier stellte nur wenige Zwischenfragen, lediglich der Teil, in dem Bastian seine Frustration über die speziellen Liebesbeziehungen der Mosuo äußerte, erregte ihre gesteigerte Aufmerksamkeit.
    «Das ist ja faszinierend», murmelte sie mehrmals.
    «Für mich weniger», sagte Bastian. «So toll ich Yasi auch finde, mir wäre es lieber, ich müsste nicht bei Morgengrauen das Bett räumen.»
    «Umso erstaunlicher, dass Sie trotz allem zu ihr gehalten

Weitere Kostenlose Bücher