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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kehrer
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also Bürgerrechtler, Hilfsorganisationen, Aktivisten aller Art.» Für einen Moment sah Yasi ihn fragend an. Dann fuhr sie fort: «Von denen ist niemand in das Dorf gekommen, stattdessen ein alter Chinese. Bo Lijun. Er war als Wissenschaftler und Dolmetscher bei der Expedition vor zwanzig Jahren dabei, zusammen mit den Europäern.»
    «Und was hat er dort gewollt?», fragte Bastian.
    «Meine Schwester sagt, er hat sich entschuldigt. Nicht im Namen der Regierung, sondern in seinem eigenen Namen. Er habe die Dorfbewohner um Verzeihung gebeten. Immer wieder. Er habe geweint und erzählt, was damals in Peking geschehen sei. Eine Mosuo-Frau sei in ihrem Institut an Krämpfen und Koliken gestorben, eine andere aus dem Fenster im vierten Stock gesprungen, wahrscheinlich infolge einer Wahnvorstellung. Die dritte Frau sei aus dem Institut geflüchtet und spurlos verschwunden, trotz intensiver Suche.»
    «Wie haben die Dorfbewohner auf diesen Bo reagiert?»
    «Sie haben ihm verziehen. Hätten sie ihn schlagen oder töten sollen? Dadurch wäre nichts besser, aber vieles schlechter geworden.»
    Ein seltsames Volk, diese Mosuo, dachte Bastian. «Denkst du, dieser Kerl hat etwas mit den Mordanschlägen im Münsterland zu tun?»
    «Keine Ahnung. Ich werde ihn fragen, sobald ich ihn am Telefon habe. Ich kenne noch ein paar Leute in Peking, und ein Pharmakologe namens Bo Lijun sollte zu finden sein.»
    Wieder verstand Bastian kein Wort, als Yasi telefonierte. Er registrierte nur, dass sie eine andere Sprache benutzte. Chinesisch, nahm er an. Und sosehr er Yasis Gegenwart genoss, allmählich kam er sich ziemlich überflüssig vor. Warum hatte sie ihn überhaupt herbestellt? Yasi dabei zuzuhören, wie sie in fremden Sprachen redete, war ungefähr so spannend wie eine Casting-Show im Fernsehen. Von denen hatte er auch noch keine bis zum Ende geguckt.
    Erneut drehte Bastian eine Runde durch die Wohnung. An einer Pinnwand hinter Yasis Schreibtisch im winzigen Arbeitszimmer hingen Fotos. Lachende Mosuo in festlicher Kleidung. Die Frauen trugen weiße Röcke und bunte Oberteile, in den schwarzen, kunstvoll hochgesteckten Haaren glitzerten weiße Perlenketten, darüber hingen seltsam gefaltete rote Tücher. Die Männer waren etwas schlichter gekleidet, mit ihren weißen Strohhüten sahen sie ein bisschen wie amerikanische Touristen aus. Auf einem Foto stand Yasi in westlicher Kleidung, mit Jeans und Bluse, inmitten prächtig herausgeputzter junger Frauen in ihrem Alter. Was mochten ihre früheren Freundinnen über sie denken, über die Frau, die in Peking studiert hatte? Neben bewundernden glaubte Bastian auch kritische Blicke zu erkennen. Sosehr Yasi die Traditionen der Mosuo beschönigte, es blieben Traditionen, die das Leben einengten. Wer ausbrach, wurde zum Außenseiter, von den einen beneidet, von den anderen verurteilt. Andere Fotos zeigten Yasi in Peking und in Hamburg. Vor den Landungsbrücken in St. Pauli stand sie neben einem mindestens zwanzig Jahre älteren Mann, der seinen Arm um ihre Taille gelegt hatte. Ihr Freund? Ihr Professor?
    Bastian spürte die kleinen, verletzenden Eifersuchtsstiche. Und das bei einem Mann, den Yasi verlassen hatte. Wie würde das erst sein, wenn sie Bastian eröffnete, dass sie außer ihm mit einem anderen Mann schlief? Nein, daran würde er sich nie gewöhnen können.
    Bastian kehrte ins Wohnzimmer zurück. Yasi schirmte den Hörer ab und flüsterte: «Ich habe ihn. Bo Lijun.»
    Bastian verdrängte das Bild des grauhaarigen, durch seine randlose Brille blasiert in die Kamera guckenden Professors. Hier war die Gegenwart. Hier war Yasi, die in ihrem chinesischen Singsang versuchte, Licht in das Dunkel von drei Morden zu bringen. Und dann sagte sie plötzlich etwas, das er verstand. Drei Namen: «Hel Lambert, Chris Weigold, Ujo Ogtländer.»
    Helene Lambert, Christian Weigold und der Dritte musste Ulrich Vogtländer sein. Waren sie die drei Europäer, die vor zwanzig Jahren im Land der Mosuo gewesen und auf
Baba
gestoßen waren? Ja, das würde Sinn ergeben.
    Einige Minuten später beendete Yasi das Gespräch. «Er ist müde», teilte sie Bastian mit. «Er will jetzt nicht mehr reden.»
    «Ich kann mir denken, was er gesagt hat», meinte Bastian. «Der Dritte, den du vielleicht nicht kennst, ist Ulrich Vogtländer, ein Biologe, der mit Christian Weigold befreundet war.»
    «Ich will mit ihnen sprechen», sagte Yasi entschlossen. «Mit Helene Lambert und mit Vogtländer. Ich will wissen, was sie getan

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