Münsterland ist abgebrannt
saß bald ein Cousin meiner Mutter am Feuer im Haupthaus und erzählte, was die Fremden den ganzen Tag machten. Dass sie viel fotografierten, Pflanzensamen und Wurzeln sammelten und sich genau erklären und zeigen ließen, woraus unser Essen bestand, der einfache Maisbrei genauso wie das zehn Jahre alte Schweinefleisch. Die Wissenschaftler blieben einige Monate, und als sie schließlich fortgingen, nahmen sie fünf Frauen mit, von denen ein Jahr später nur zwei zurückkehrten. Was mit den anderen drei passiert ist, blieb im Dunkeln. Vielleicht sind sie tot, vielleicht leben sie heute irgendwo in Peking oder Shanghai. Die beiden Frauen, die zurückkamen, redeten nur ungern über das, was sie erlebt hatten. Man habe sie getrennt, ihnen immer wieder Blut aus den Armen entnommen und sie in laut kreischende Röhren geschoben – womit sie wohl ein CT oder MRT meinten. Stets bekamen sie seltsame Gerichte in unterschiedlichen Mengen zu essen, bis ihnen schlecht wurde oder sie stundenlang von Halluzinationen verfolgt wurden.» Yasi legte das Handtuch zur Seite und richtete sich auf. «Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass man die Frauen gefährlichen Experimenten unterzogen hat, um die Wirkungsweise und Dosierung von
Baba
zu testen. Experimente, die nach wissenschaftlichen und ethischen Kriterien nicht zu rechtfertigen sind. Denn bei
Baba
ist es genauso wie bei allen anderen Wirkstoffen: Nimmst du zu viel, schadest du deiner Gesundheit. Nimmst du viel zu viel, kannst du sterben.»
Sie stand auf, ging in die Küche und kam mit zwei Tassen zurück, in denen Fettaugen auf einer bräunlichen Flüssigkeit schwammen.
«Was ist das?», fragte Bastian.
Yasi trank ihre Tasse halb leer und schaute ihn erwartungsvoll an. Er probierte einen Schluck. Das Zeug schmeckte wie fettiger Tee mit Maggi.
«Buttertee», sagte Yasi. «Ein- oder zweimal im Jahr, wenn die Erinnerungen an die Heimat mich wehmütig machen, setze ich eine Kanne auf. Buttertee ist unser Nationalgetränk. Wir trinken es morgens, mittags und abends.»
Bastian stellte die Tasse auf einem Hocker ab. «Hast du meinen Kollegen von den drei verschwundenen Frauen erzählt?»
«Nein.»
«Warum nicht?»
«Hätte mich das nicht noch verdächtiger gemacht?»
«Es macht dich mit Sicherheit verdächtig, wenn sie es herausfinden.»
«Deshalb müssen wir deinen Kollegen einen Schritt voraus sein.» Yasi griff nach dem schnurlosen Telefon, das auf einem Beistelltischchen stand.
«Und was hast du vor?»
«Mit meinen Verwandten telefonieren. Mittlerweile gibt es auch bei uns Strom und Telefon. In den größeren Dörfern zumindest.»
«Ist es in China nicht mitten in der Nacht?»
Yasi drückte am Telefon auf eine Taste. «Nein, erst später Abend. Meine Mutter schläft wahrscheinlich schon, sie geht immer früh ins Bett, aber meine Geschwister sind sicher noch wach.»
Eine Frauenstimme meldete sich. Yasi stieß einen freudigen Schrei aus, gefolgt von einem Lachen. Dann stellte sie eine Reihe von Fragen in ihrer Muttersprache. Dass es sich um Fragen handelte, schloss Bastian aus der Betonung. Und da er inzwischen wusste, wie viel die Familie den Mosuo bedeutete, nahm er an, dass Yasi sich nach jedem einzelnen Mitglied ihrer vielköpfigen Verwandtschaft erkundigte. Vorher würde sie mit Sicherheit nicht auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen kommen.
Weil das noch eine Weile dauern konnte, schlenderte Bastian mit der Tasse Buttertee in die Küche. Die Gelegenheit war günstig, den Inhalt der Tasse in den Ausguss zu kippen. Liebe machte vielleicht manchmal blind, aber sie lähmte nicht die Geschmacksnerven.
Mit einem Glas Mineralwasser kehrte er schließlich ins Wohnzimmer zurück. Wie der Ton ihrer Stimme hatte Yasis Gesicht einen ernsteren Ausdruck angenommen. Offenbar war sie jetzt bei ihrem eigentlichen Anliegen. Bastian verstand nicht das Geringste, allerdings schien es ihm so, als würde sie einen Namen häufig wiederholen. Er klang wie Bo Liu. Kurz darauf leitete Yasi die Verabschiedung ein. Lachen, ein Nicken, das vom ganzen Oberkörper verstärkt wurde, Sätze, die nur geringfügig variiert wurden. Dann war das Gespräch zu Ende.
«Und?», fragte Bastian.
«Interessant.» Yasi nahm Bastian das Glas Mineralwasser ab und trank es in einem Zug leer.
So viel zum Thema Buttertee.
«Es war tatsächlich jemand in dem Dorf, aus dem die fünf entführten Frauen stammen, aber keine NGO s aus dem Westen, sondern …»
« NGO s?»
«Nicht-Regierungs-Organisationen,
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