Münsterland ist abgebrannt
Gerade das Singen bekannter Lieder weckt Erinnerungen an früher. Hinterher sieht man manchen an, dass sie regelrecht glücklich sind.»
Bastian verzog sich auf den Flur. Das hier war der nackte Horror. Dann lieber schnell sterben.
Mia räusperte sich und trat mit der Leiterin ebenfalls wieder auf den Flur. «Unten habe ich nicht so einen … intensiven Geruch bemerkt.»
Die Heimleiterin nickte verständnisvoll. «Auf dieser Station wohnen viele Pflegefälle. Da bleibt es nicht aus, dass –»
«Ist denn auf den anderen Stationen …»
«… leider kein Zimmer frei», ergänzte die Heimleiterin. «Sie haben großes Glück, dass gerade etwas vakant geworden ist. Es gibt Zeiten, in denen müssen wir die Bewerber monate-, wenn nicht jahrelang vertrösten.»
«Könnte unsere Mutter denn innerhalb des Hauses umziehen, wenn …»
«Natürlich ist es möglich, von einer Station auf die andere zu wechseln. Aber Sie müssen auch bedenken, dass jeder Umzug eine erneute Verunsicherung bedeutet. Zumal es sich bei Demenz um einen chronisch fortschreitenden Prozess handelt. Heute kann sich die Seniorin vielleicht noch selbst waschen, morgen vergisst sie es.»
Mia schaute ihn an. «Was meinst du?»
Das Heim lag mitten in der Stadt, sogar fast an der Strecke, die Bastian vom Präsidium zu seiner Wohnung nahm, wenn er mit dem Fahrrad unterwegs war. Er könnte Hilde zwei- oder dreimal in der Woche besuchen, mit ihr im Garten spazieren gehen oder sich in das Café in der Nähe setzen. Sicher, es gab schönere Orte, um auf den Tod zu warten. Aber keine bessere Lösung, die es ihm erlaubte, weiterhin ein eigenes Leben zu führen.
«Wir sollten es machen.»
«Sie können selbstverständlich noch darüber nachdenken», sagte die Heimleiterin. «Allerdings darf ich Ihnen den Platz nicht frei halten. Schon aus wirtschaftlichen Gründen …»
«Wir nehmen das Zimmer», sagte Mia.
Bastians Handy klingelte. Yasi. Er murmelte eine Entschuldigung, trat einen Schritt zur Seite und nahm das Gespräch an.
«Sie haben mich freigelassen», sagte Yasi.
«Ohne Auflagen?»
«Ich soll mich zur Verfügung halten, falls es noch Fragen gibt. Aber ich glaube, das haben sie nur gesagt, weil sie sich nicht entschuldigen wollen.»
«Wo bist du jetzt?»
«In meiner Wohnung.»
Bastian zögerte, die naheliegendste Frage zu stellen. Yasi nahm ihm die Entscheidung ab: «Ich warte auf dich.»
«In einer Viertelstunde bin ich da.» Er steckte das Handy ein.
«Dringende dienstliche Verpflichtung», sagte er zu seiner Schwester gebeugt.
Mia glaubte ihm nicht, das sah er ihr an. Aber hier und jetzt war nicht die Gelegenheit, über Yasi zu reden.
«Du schaffst das auch ohne mich, oder?»
Mia verdrehte die Augen, während die Frau vom Heim ihm zum Abschied ein huldvolles Lächeln schenkte.
|||||
Yasi kam direkt aus der Dusche, ihre nassen schwarzen Haare lagen auf einem Handtuch, das sie sich über die Schultern geworfen hatte. Darunter trug sie den Bademantel, den Bastian schon kannte.
«Mach dir keine falschen Hoffnungen», sagte sie zur Begrüßung. «Ich bin todmüde.»
«Sieht man dir nicht an.» Bastian gab ihr einen Kuss. Dann noch einen.
«Bevor ich in Versuchung komme.» Yasi schob ihn zurück. «Wir haben zu tun.»
«Was denn?», fragte Bastian irritiert.
«Ich hätte das schon längst machen sollen. Aber damals war ich ja noch ein Kind. Und später wurde nur im Flüsterton darüber gesprochen. Aus Angst vor den Han-Chinesen.»
Sie zog ihn hinter sich her in das mit bunten Tüchern behängte Wohnzimmer und ließ sich auf ein weiches Sofa fallen. Duftkerzen verbreiteten einen süßlichen Geruch.
Bastian hockte sich neben Yasi. «Aber mir kannst du verraten, was du meinst. Ich bin kein Han-Chinese.»
«Du Dummer.» Sie tippte ihm gegen die Stirn. «Denk mal nach. Das Volk der Mosuo ist nicht groß, wir sind vielleicht vierzigtausend Menschen. Und im Jahr 1990 , also zu der Zeit, als die Wissenschaftler in unser Land kamen, waren Ausländer noch eine Seltenheit. Da nützte es ihnen nichts, dass sie ihr Expeditionslager in einem kleinen, abgelegenen Bergdorf aufschlugen. Die Nachricht, dass sich drei Weiße für unsere Nahrung und für unsere Pflanzen interessieren, verbreitete sich so schnell unter den Mosuo, wie die Männer reiten konnten.» Mit dem Handtuch rubbelte sie sich die Haare trocken. «Meine Familie lebt in der Nähe von Yongning, weit entfernt von der Bergregion, die sich die Wissenschaftler ausgesucht hatten. Trotzdem
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