Münsterland ist abgebrannt
Yasi.
Bastian schaute sie fragend an.
«Ruf Vogtländer vom Zimmertelefon aus an. Wenn er sieht, dass es eine örtliche Nummer ist, geht er vielleicht ran. Und er kennt deine Stimme.»
Nach dem dritten Klingeln meldete sich ein krächziger Bass: «Hei!»
«Herr Vogtländer? Mein Name ist Bastian Matt. Wir haben schon mal miteinander telefoniert. Der Kriminalbeamte aus Münster, erinnern Sie sich?»
«Was machen Sie in Longyearbyen?»
«Sie sind ein wichtiger Zeuge in den Mordfällen Weigold und Mergentheim. Ich würde gerne persönlich mit Ihnen sprechen.»
«Deshalb kommen Sie extra nach Spitzbergen?»
Bastian ignorierte die Frage. «Wann würde es Ihnen passen? Morgen am Vormittag? Oder lieber etwas später?»
Vogtländer sagte nichts. Bastian fürchtete schon, der Wissenschaftler würde auflegen. Dann ein hustenähnliches Räuspern. «Sie sind nicht allein. Wer ist die Frau?»
«Sie haben uns gesehen?»
«Ich habe Sie gefragt, wer die Frau ist.»
«Ihr Name ist Yasi Ana. Sie ist …»
«Eine Mosuo», unterbrach Vogtländer. «Was will sie von mir?»
«Herr Vogtländer, wir wissen bereits einiges über die Ereignisse vor zwanzig Jahren im Land der Mosuo und in Peking. Frau Ana hat ein persönliches Interesse, von Ihnen mehr darüber zu erfahren.»
Vogtländer hustete. «Ich will nicht mit ihr reden. Sagen Sie ihr das. Sie soll mich in Ruhe lassen.»
«Sie haben nichts zu befürchten, Herr Vogtländer.» Bastian bemühte sich um einen vertrauenerweckenden Ton. «Ich garantiere für Ihre Sicherheit.»
Der Biologe schien zu überlegen. Bastian spürte, dass der Moment der Entscheidung gekommen war.
«Ich bin krank», sagte Vogtländer. «Ich werde bald sterben. Alles, was ich zu sagen habe, habe ich aufgeschrieben. In einigen Tagen oder Wochen werden Sie die Wahrheit erfahren. Sagen Sie Frau Ana, dass es mir leidtut. Aber ich habe nicht die Kraft, mit ihr zu reden. Versuchen Sie doch morgen Ihr Glück bei Helene Lambert.»
«Helene Lambert? Sie ist hier?»
«Ihr Kreuzfahrtschiff wird morgen früh in Longyearbyen anlegen.»
Ein Tuten signalisierte, dass Vogtländer aufgelegt hatte.
Bastian schaute Yasi überrascht an. «Wusstest du, dass Helene Lambert morgen in Longyearbyen sein wird?»
«Woher denn?», antwortete Yasi. «Warum guckst du mich so an? Denkst du jetzt auch, ich bin eine Attentäterin?
Du
hast mir gesagt, dass sie eine Kreuzfahrt macht.»
«Und dann hast du dir die Route im Internet angesehen.»
«Nein.» Sie stampfte wütend mit dem Fuß auf. «Vielleicht hätten wir doch zwei getrennte Zimmer nehmen sollen.»
«Als Polizist bin ich eben allergisch gegen Zufälle», sagte Bastian. «Aber gut. So haben wir die Chance, Vogtländer
und
Helene Lambert zu befragen.» Er stand auf und versuchte, Yasi an sich zu drücken. «Frieden?»
Sie verschränkte die Arme. «Weiß ich noch nicht.»
«Und was machen wir jetzt?»
«Erst mal essen gehen. Dann sehen wir weiter.»
Zum
Polarhotel
gehörte auch die
Brasseri Nansen
, ein À-la-carte-Restaurant mit grandiosem Ausblick auf den Fjord und die dahinterliegenden Berge. Sie entschieden sich für einen Tisch am Fenster, und Bastian hätte diesen Moment vielleicht in die Hitliste seiner perfekten Erlebnisse aufgenommen, wäre die Stimmung zwischen ihnen nicht immer noch angespannt gewesen. So studierte Yasi beleidigt die Speisekarte, während sich Bastian die Frage stellte, ob es eine gute Idee gewesen war, nach Spitzbergen zu fliegen und zwei der wichtigsten Zeugen in der Mordermittlung ohne Rückendeckung seiner Vorgesetzten zu vernehmen. Und das auch noch in Begleitung einer Tatverdächtigen. Biesinger und Brunkbäumer würden ausrasten, Fahlen sowieso.
«He», sagte Yasi. «Das ist wirklich mal eine interessante Karte. Walcarpaccio, Robbenschinken und Schneehuhn.»
«Gibt es auch Steak mit Pommes?», fragte Bastian.
«Ja. Vom Rentier.»
Bastian stöhnte.
«Was der Bauer nicht kennt, verdirbt ihm den Brei», meinte Yasi spöttisch.
«So ähnlich», sagte Bastian.
Nach dem Essen verzichteten sie auf einen Absacker an der Bar und gingen direkt zurück auf ihr Zimmer. Yasi verkündete, dass sie müde sei, und war nach fünf Minuten eingeschlafen. Bastian blieb noch lange wach und beobachtete, wie sich die Strahlen der Mitternachtssonne zwischen den Vorhängen hindurch ins Zimmer stahlen.
[zur Inhaltsübersicht]
Dreiundzwanzig
«Du siehst beschissen aus, Ujo.»
Seit wie vielen Jahren hatte ihn niemand mehr Ujo genannt? Damals war er
Weitere Kostenlose Bücher