Münsterland ist abgebrannt
Reisetaschen am Gepäckband in Empfang genommen hatten, machte sich Yasi auf die Suche nach einem Mietwagen-Service.
«Hat das nicht Zeit bis morgen?», fragte Bastian. «Es gibt bestimmt eine Busverbindung ins Zentrum. Oder Taxis. Checken wir erst mal im Hotel ein und ruhen uns aus. Vogtländer läuft uns nicht weg.»
«Vielleicht doch», sagte Yasi. «Ich bin nicht hergekommen, um Urlaub zu machen, Bastian. Ich will mit Vogtländer reden.»
«Jetzt sofort?»
Es gab tatsächlich Mietwagen, allerdings zu astronomischen Preisen. Yasi wählte das kleinste Modell und füllte das entsprechende Formular aus.
«Weißt du denn, wo Vogtländer wohnt?», fragte Bastian, als sie über den Parkplatz auf das Auto zugingen.
«Seine Telefonnummer und seine Adresse stehen im Internet. Außerdem ist Longyearbyen eine Stadt mit zweitausend Einwohnern. Da wird es nicht so schwer sein, ihn zu finden.» Yasi warf ihm den Autoschlüssel zu. «Du fährst.»
Die zweispurige Straße, auf der ihnen etliche Autos entgegenkamen, führte am Meer entlang. Yasi war damit beschäftigt, sich den Stadtplan von Longyearbyen auf ihr Smart Phone zu laden. Ihre Entschlossenheit nährte den Zweifel, der Bastian schon seit Beginn der Reise plagte. Warum hatte sie es so eilig, Vogtländer zu treffen? Warum konnte sie nicht bis zum nächsten Tag warten? Wollte sie vielleicht doch etwas anderes als eine Aussprache? Aber was? Ihn umbringen? Wie sollte sie das anstellen?
Bastian konnte sich nicht vorstellen, dass Yasi eine Waffe in ihr Gepäck geschmuggelt hatte. Im Handgepäck war das sowieso unmöglich, und die Reisetasche lag verschlossen im Kofferraum. Trotzdem nahm er sich vor, Yasi im Auge zu behalten und darauf zu achten, ob sie den Kofferraum öffnete. Gepäckkontrollen in Flughäfen waren manchmal ziemlich lax, Bastian kannte Fälle, in denen Kriminelle Schusswaffen mit dem Flugzeug transportiert hatten.
Schon nach wenigen Kilometern erreichten sie das Zentrum von Longyearbyen. Der Ort sah nach Arbeit aus: Frachtschiffe, Kräne, Lagerhallen, schmucklose Wohnhäuser und eine Seilbahn, die offenbar nicht mehr genutzt wurde. Kein Ferienidyll, sondern eine Industriesiedlung.
«Da vorne rechts», sagte Yasi. «Wir müssen ein Stück den Berg hinauf.»
Die Häuser reihten sich an einer Straße auf, die ins Landesinnere führte. Mit Kohle beladene Lkw fuhren von einer höhergelegenen Zeche in Richtung Hafen. Yasi dirigierte Bastian in eine Wohnsiedlung. Hier standen holzverkleidete Häuser, die in allen möglichen Pastellfarben leuchteten.
«Fahr langsamer!», befahl Yasi und schaute sich nach den Hausnummern um. «Das da ist es.»
Vogtländer wohnte in einem mattgelben Haus.
Erleichtert registrierte Bastian, dass Yasi nicht zum Kofferraum, sondern direkt zur Haustür ging und auf die Klingel drückte. Im Haus blieb es still. Yasi klingelte erneut. Wieder keine Reaktion. Bastian trat ein paar Schritte zurück und schaute nach oben. Hinter dem Vorhang im oberen Stockwerk entfernte sich ein Schatten. Oder hatte sich ein vorbeifliegender Vogel in der Scheibe gespiegelt?
«Er ist nicht da», sagte Bastian. «Lass uns zum Hotel fahren.»
Yasi war noch nicht überzeugt. Sie ging, soweit das die Verbindungsmauern zu den Nachbargebäuden zuließen, um Vogtländers Haus herum und blickte durch die Fenster. Erst dann gab sie auf.
«Wir versuchen es morgen noch mal», versuchte Bastian sie aufzumuntern. «Wenn er dann nicht öffnet, fahren wir zu seiner Arbeitsstelle.»
«Er versteckt sich», sagte Yasi. «Er hat Angst.»
Vermutlich hatte Vogtländer allen Grund dazu. Falls Bos Angaben zutrafen, war der Wissenschaftler mitschuldig am Tod mehrerer Menschen, ganz abgesehen von der dreisten Enteignung der Mosuo, was
Baba
anging. Sollte er also gesehen haben, dass eine Frau mit asiatischen Zügen vor seiner Tür stand, musste ihm das einen gehörigen Schrecken eingejagt haben.
Yasi lotste Bastian zum
Polarhotel
, einem lichtdurchfluteten Gebäude, in dem helle Hölzer dominierten. Die Unterkunft hatte sie zusammen mit dem Flug gebucht.
«Nur ein Zimmer?», fragte Bastian, als sie den Aufzug verließen. «Was ist mit deinen Prinzipien?»
«Auf Reisen gelten Ausnahmen. Außerdem gibt es hier keine Morgendämmerung.» Yasi schloss die Tür auf. «Und ein Doppelzimmer ist wesentlich billiger.»
Bastian ließ sich auf das Bett fallen. «Jetzt ein Bier und was zu essen. Und dann schlafen.»
«Können wir vorher noch einen Versuch machen?», fragte
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