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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kehrer
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tot, das sehen Sie doch.»
    Bastian antwortete nicht, hielt seine zitternde Pistole auf den regungslosen Körper gerichtet und drehte ihn mit dem Fuß um. Tatsächlich, die Brust war in der Herzgegend von zwei Kugeln getroffen worden. Noch ein Fußtritt und die zweite Pistole schlitterte über den Tunnelboden. Bastian entspannte sich etwas. Was jedoch nur dazu führte, dass das Zittern sich verstärkte. Seine Nebenniere musste literweise Adrenalin produziert haben.
    Unterdessen hatte Hansen Annika Busch in Schach gehalten. Bastian ging zu ihnen hinüber. In einem Film, schoss es ihm durch den Kopf, würde die Szene sicher albern wirken: Zwei bewaffnete Polizisten standen zitternd vor einer zierlichen, knienden Frau.
    Hansen reichte ihm ein Paar Handschellen.
    Annika Busch guckte Bastian an. «Dich kenne ich doch. Du bist aus Münster.»
    Bastian wollte gerade Buschs Hände auf den Rücken drehen, als er sah, wie ihr ein Blutstropfen aus dem Mund lief.
    Sie hustete und spuckte Blut auf den eisbedeckten Boden. «Ihr habt ja keine Ahnung.» Dann fiel sie um und blieb liegen.
    «Scheiße», sagte Hansen. «Nicht die auch noch!»
    Bastian öffnete den Mantel der Frau. Der Pullover darunter war feucht und dunkelrot. «Ich glaube, sie ist tot.»
    «Verdammt», fluchte Hansen.
    «Es ist nicht deine Schuld.»
    «Sieh zu, was mit Vogtländer ist», sagte Hansen. «Ich bleibe hier.»
    Bastian rannte los. Dreißig Meter hatte er bereits zurückgelegt, als ihm einfiel, dass er nicht mal wusste, wo sich Vogtländer genau befand. Und dass er sich in der Samenbank überhaupt nicht auskannte. War das, was er hier machte, nicht total unsinnig? Konnte man sich in den Gängen verirren? Oder selbst versehentlich einschließen, in Dunkelheit und Kälte? Am Ende vielleicht wie Vogtländer erfrieren?
    Hör auf damit!, sagte sich Bastian. Er zwang sich, die negativen Gedanken beiseitezuschieben. Vor ihm tauchte eine geöffnete Stahltür auf. Dahinter befand sich ein Flur. Nackte weiße Wände, grelles Neonlicht, ein paar freiliegende Rohre und Messinstrumente. Riesig schien die Samenbank jedenfalls nicht zu sein, er entdeckte lediglich drei weitere Türen. Und nur an der mittleren zeigten sich Gebrauchsspuren. Hatte Hansen nicht gesagt, dass Vogtländer in der Kühlkammer liegen würde?
    Bastian atmete tief ein und öffnete die mittlere Tür. Ein eisiger Hauch schlug ihm entgegen. Zuerst kam ein gläserner Durchgang, vergleichbar den Sicherheitsschleusen an Flughäfen und Gerichten. Erst dahinter erstreckte sich der Lagerraum mit Regalreihen voller Kisten. Bastian spürte, wie die Kälte durch seine Kleidung drang.
    «Dr. Vogtländer?»
    Keine Antwort.
    Er wandte sich nach rechts. Gleich im zweiten Gang sah er ihn. Seine Lippen waren blau verfärbt, er rührte sich nicht.
    Bastian kniete sich neben den malträtierten Kopf des Bewusstlosen. Vogtländer war offensichtlich verprügelt worden. «Hören Sie mich?»
    Bastian rüttelte an den Schultern. Der Kopf des Biologen fiel zur Seite. Ohne große Hoffnung griff Bastian nach dem spindeldürren Handgelenk und versuchte, einen Puls zu finden. Das Herz schlug. Schwach zwar, aber es schlug.
    Vogtländer lebte.

[zur Inhaltsübersicht]
Dreißig
    Nein, er war nicht tot. Es sei denn, der Himmel oder die Hölle sahen aus wie ein Krankenhaus. Genauer gesagt: wie das Krankenhaus von Tromsø. Vogtländer erkannte den Raum. In diesem oder einem ähnlichen hatte er schon mehrfach gelegen. Selbst das Ticken der Instrumente über seinem Kopf und der Anblick der Schläuche und Infusionsbeutel kamen ihm vertraut vor.
    Vorsichtig bewegte Vogtländer seine Gliedmaßen, zuerst die Arme, dann die Beine, nacheinander testete er Finger und Zehen. Es schien noch alles an seinem Platz zu sein, nichts erfroren oder amputiert. Beinahe hätte er gelacht. Dass er immer noch lebte, war ein Witz, ein übler Scherz des Schicksals. Irgendeine Macht oder was auch immer dafür verantwortlich war, wollte, dass er sein Leiden bis zum Ende auskostete. Vogtländer wusste, was ihm bevorstand: ein paar Wochen Siechtum und Schmerzen. Warum hatte man ihn nicht einfach erfrieren lassen?
    Eine Krankenschwester kontrollierte den Tropf und sah, dass seine Augen geöffnet waren. «Sie sind wach?»
    Vogtländer zwinkerte.
    «Wie schön.» Sie lächelte fröhlich. «Ich sage Dr. Eriksson Bescheid.»
    Vogtländer kannte Eriksson von seinen früheren Aufenthalten. Ein junger Arzt, der noch nicht vom Arbeitsalltag abgestumpft und gelegentlich zu

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