Münsterland ist abgebrannt
einem Plausch an das Bett des Wissenschaftlers gekommen war. Vielleicht aus Mitgefühl, weil Vogtländer nie Besuch bekommen hatte. An manchen Abenden hatten sie eine halbe Stunde oder länger philosophiert, über das Leben und den Tod und die Ethik der Wissenschaft. Mehr als einmal war Vogtländer versucht gewesen, Eriksson von seinen persönlichen Verfehlungen zu erzählen. Die Angst, die Achtung des jungen Mannes zu verlieren, hatte ihn stets davon abgehalten.
Eriksson kam herein. Auch er lächelte. Vogtländer spürte, wie seine Augen feucht wurden. Es gab Menschen, die sich darüber freuten, dass er lebte.
«Dr. Vogtländer. Ich hätte es fast nicht mehr geglaubt.»
«Ich auch nicht», wollte Vogtländer sagen. Heraus kam nur ein Krächzen.
Eriksson gab ihm mit einer Schnabeltasse einen Schluck zu trinken. «Schonen Sie sich. Sie sind noch sehr schwach.»
«Wie lange …», flüsterte Vogtländer.
«Wie lange Sie hier sind? Vor drei Tagen hat man Sie mit dem Flugzeug hergebracht. Ehrlich gesagt, ich habe nicht damit gerechnet, dass Sie die Nacht überleben. Aber Ihr Herz ist ein kräftiger Muskel, der lässt sich nicht so leicht unterkriegen.»
«Wie lange habe ich noch?»
«Schwer zu sagen.» Eriksson machte ein ernstes Gesicht. «Sie kennen ja Ihre Prognose. Und der Kälteschock in der
Vault
hat Ihren Körper zusätzlich geschwächt. Allerdings sind die Organe, die nicht vom Krebs befallen sind, im Prinzip gesund. In Ihrem Alter lassen sich Abwehrkräfte mobilisieren, über die Siebzig- oder Achtzigjährige nicht mehr verfügen. Also ist es möglich, dass Sie noch eine Weile bei uns bleiben.»
Vogtländer wurde müde. «Kann ich …» Das Sprechen fiel ihm schwer.
«Soll ich jemanden benachrichtigen?» Eriksson drückte Vogtländers Hand. «Gibt es eine Person, die Sie sehen möchten?»
Frederik, dachte Vogtländer. Wie schön wäre es, wenn sein Sohn zu ihm kommen würde. Aber wahrscheinlich wusste Frederik nicht einmal, dass er sein Vater war.
Vogtländer schüttelte den Kopf. Dann schlief er ein.
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Wenn Frederik nicht zu ihm kam, musste er zu Frederik reisen. Eine Wahnsinnsidee, das gestand Vogtländer sich ein. Doch warum sollte jemand mit seiner Zukunftsperspektive nicht eine verrückte Idee verfolgen? Was hatte er schon zu verlieren – außer seinem Leben? Eine Reise nach Deutschland war sein einziger Wunsch. Und mit Sicherheit würde es auch sein letzter sein.
Nein, es gab noch etwas, das er zu erledigen hatte. Die
Baba
-Samen mussten so schnell wie möglich verschickt werden, zusammen mit den Berichten. Doch dummerweise hing beides zusammen. Er konnte die Berichte nicht verschicken, ohne vorher mit Frederik gesprochen zu haben. Sein Sohn sollte die Wahrheit über seine Mutter und seinen Vater nicht aus den Medien erfahren, er musste ihn schonend darauf vorbereiten. Und hoffen, dass Frederik mit einer Veröffentlichung einverstanden war. Oder sich zumindest nicht dagegen wehrte. Vogtländer stellte sich vor, wie er seinen Sohn um Verzeihung bitten würde. Und wie Frederik ihn daraufhin in den Arm nehmen und ihm versichern würde, dass sie das gemeinsam durchstehen werden. Dann hätten sein Leiden und seine Quälerei am Ende doch noch einen Sinn gehabt.
Leider lagen vor der Begegnung von Vater und Sohn einige tausend Flugkilometer. In seiner Verfassung ein schier unüberwindliches Problem. Am Morgen war er zum ersten Mal aufgestanden und selbständig zur Toilette gegangen. Unterwegs wäre er vor Schwäche beinahe umgekippt. Aber er hatte es geschafft. Und am Nachmittag war er den Krankenhausflur auf und ab gegangen. Dreimal hintereinander. Mit eisernem Willen. Theoretisch war es also möglich, eine letzte Reise zu machen. Auch wenn Dr. Eriksson das für bodenlos unvernünftig halten würde. Und die Wahrscheinlichkeit, lebend am Ziel anzukommen, vermutlich geringer war als die, unterwegs zu sterben. Es kam auf einen Versuch an.
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Eriksson schüttelte den Kopf. «Das kann ich nicht verantworten.»
«Ich weiß», sagte Vogtländer. «Ich unterschreibe, dass ich gegen Ihren Rat handele.»
Der Arzt runzelte die Stirn. «Es gibt Telefon. Und Internet. Wenn Sie wollen, rufe ich Ihren Sohn an und bitte ihn herzukommen. So viele Möglichkeiten, Ihren Wunsch zu erfüllen. Was bringt Sie dazu, sich unnötig selbst zu quälen?»
«Ich wünschte, ich könnte es Ihnen verraten», sagte Vogtländer. «Glauben Sie mir, da ist etwas, das ich noch erledigen muss. Sehen Sie es einmal so:
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