Münsterland ist abgebrannt
Eigentlich hätte ich in der Samenbank sterben müssen. Dass ich noch lebe, ist ein Bonus, eine Zusatzzeit, die ich bedenkenlos aufs Spiel setzen kann.»
«Sie sind verrückt.» Eriksson lachte. «Sie glauben, weil Sie den Teufel einmal beim Schachspiel besiegt haben, gelingt Ihnen das auch beim nächsten Mal.»
«Nein, das denke ich nicht», widersprach Vogtländer. «Deshalb brauche ich die stärksten Schmerzmittel, die Sie haben. Morphiumsüchtig bin ich sowieso.»
«Die stärksten Schmerzmittel haben eine kleine Nebenwirkung: Sie werden Sie in einen Dämmerzustand versetzen.»
«Ich vertraue darauf, dass jemand in der Nähe ist, der mich aufweckt.»
|||||
Jemand rüttelte an seinem Arm. Er schrak hoch. «Wo bin ich?»
«In Longyearbyen. Sie müssen das Flugzeug verlassen.»
Vogtländer schaute sich um, der Innenraum war leer, die anderen Passagiere bereits ausgestiegen. Man hatte ihm einen Sitzplatz ganz vorne zugewiesen, eine komplette Reihe sogar, wohl aus Rücksicht auf die übrigen Reisenden.
«Entschuldigung, ich bin eingeschlafen.»
«Kein Problem.» Die Stewardess schwenkte eine Plastiktüte in der Hand, Vogtländers Handgepäck.
Der Biologe erhob sich mühsam.
«Soll ich einen Rollstuhl besorgen?»
«Nein, es geht schon.» Er nahm der Frau die Tüte ab und machte ein paar wackelige Schritte. «Halten Sie mir einen Platz in der Maschine frei, ich fliege in zwei Stunden wieder zurück nach Tromsø.»
Das Lächeln der Stewardess wirkte eingefroren. Vogtländer erinnerte sich daran, dass sein Anblick und sein Geruch die Menschen verunsicherte. Außer Dr. Eriksson gab es eigentlich niemanden, der sich freute, ihn zu sehen.
Auf dem Weg zur Halle bereute er, das Rollstuhl-Angebot ausgeschlagen zu haben. Aber er blieb auf den Beinen und schlurfte hinaus zum Taxistand. Erleichtert ließ er sich auf die Rückbank eines wartenden Taxis fallen.
«Wohin?» Der Taxifahrer schaute ihn im Rückspiegel an.
Vogtländer nannte seine Adresse. Er wollte nur die Umschläge mit den
Baba
-Samen, einige Wäschestücke zum Wechseln und ein paar Kosmetikartikel in einen Rucksack packen und gleich wieder zurück zum Flughafen fahren. Für seine letzte Reise brauchte er keinen Koffer, Handgepäck reichte völlig aus. Die Flüge hatte er schon in Tromsø gebucht: einmal Spitzbergen und zurück, dann über Oslo und Berlin bis nach Münster-Osnabrück. Von dort aus war es nicht weit bis Lengerich, wo Frederik wohnte.
Vogtländer lehnte sich zurück und schloss die Augen. Er hoffte, dass ihn der Taxifahrer nicht erkennen würde, auf ein Gespräch über das, was in der Samenbank passiert war, verspürte er nicht die geringste Lust.
«Sind Sie nicht der Wissenschaftler, der fast erfroren wäre?»
Vogtländer brummte.
«Wieso waren diese Schweine hinter Ihnen her?»
Ja, warum eigentlich? Dr. Eriksson hatte zwar die Anfrage der Polizei, die Vogtländer sprechen wollte, mit Hinweis auf den labilen Gesundheitszustand seines Patienten abgewimmelt, dafür mehrere große Berichte aus Zeitungen und Magazinen ausgeschnitten und auch eine Fernsehreportage auf dem Tablet-Computer gezeigt. Daher wusste Vogtländer, dass der überlebende Täter, der von der Polizei verhaftet worden war, jegliche Aussage verweigerte. Allerdings hatte man bei ihm ebenso wie bei seinen toten Komplizen russische Papiere entdeckt und herausgefunden, dass sie schon von Deutschland aus in Longyearbyen ein Boot gechartert hatten, das sie nach Barentsburg bringen sollte. Von dort wollte sich das Trio offenbar nach Russland absetzen. Das Unternehmen war also von langer Hand geplant worden. Aber hatte er, Ulrich Vogtländer, von vorneherein auf der Todesliste gestanden? So sorgfältig die Morde an Mergentheim, den Weigolds, Helene und ihrem Assistenten inszeniert worden waren, so überhastet und letztlich stümperhaft hatte sich das Trio bei seiner Verfolgung angestellt. War seine Ermordung ursprünglich gar nicht beabsichtigt gewesen, sondern spontan beschlossen worden? Bloß von wem? Und warum? Die Polizei in Münster, die in den Berichten ausführlich zitiert wurde, machte kein Geheimnis daraus, dass sie die Verbindung zwischen den Morden in der Firma Lambert-Pharma und dem Patent auf den
Baba
-Wirkstoff sah. Die Polizei glaubte, dass die Täter aus politischen Motiven gehandelt hatten. Doch Vogtländer war weder an der Firma beteiligt, noch profitierte er von dem Patent. Blieben als Erklärung für die Jagd auf ihn nur die mehr als zwanzig Jahre
Weitere Kostenlose Bücher