Münsterland ist abgebrannt
zurückliegenden Ereignisse in China. Konnten die Täter davon gewusst haben? Dann wären sie besser informiert gewesen als alle Journalisten, die sich bislang in die Geschichte vertieft hatten. Natürlich war man auf die Forschungsreise gestoßen, die Vogtländer zusammen mit Christian Weigold und Helene Lambert ins Land der Mosuo gemacht hatte. In keinem der Texte, die Vogtländer gelesen hatte, wurden jedoch die toten Mosuo-Frauen erwähnt. Nicht einmal die junge Mosuo, die zusammen mit dem deutschen Kripo-Mann nach Longyearbyen gekommen war, hatte sich den Medien offenbart. Wenn aber die geballte journalistische Macht daran scheiterte, die damaligen Verbrechen aufzuklären, wie konnte das dann drei Amateuren gelingen? Hatte ein Insider sie eingeweiht? Und wer war dieser Insider?
«Wir sind da.»
Vogtländer schaute auf. Das Taxi stand vor seinem Haus.
«Warten Sie bitte hier!» Er drückte dem Taxifahrer ein paar Scheine in die Hand. «Ich packe nur rasch ein paar Sachen zusammen. Dann möchte ich zurück zum Flughafen.»
Der Taxifahrer nickte mürrisch. Hatte Vogtländer eigentlich die Frage des Mannes beantwortet? Oder nur darüber nachgedacht? Er wusste es nicht.
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Einunddreißig
«Mutter hat sich schon gut eingelebt», sagte Mia, als müsste sie sich selbst überzeugen.
«Wer sagt das?», fragte Bastian. Sie standen vor dem Eingang des Altenheims in der Nähe der Aegidiistraße. Seit drei Tagen wohnte Hilde jetzt in dem Heim. Bislang hatte sich Bastian davor gedrückt, sie zu besuchen, deshalb war ihm Mias Angebot, zu einem dreiköpfigen Familientreffen mitzukommen, ganz recht gewesen.
«Die Schwester. Aber ich hatte gestern auch den Eindruck, dass sie ruhiger geworden ist.»
«Heißt das in einem Altenheim eigentlich Schwester?»
«Schwester, Pflegerin – was spielt das für eine Rolle?» Mia verdrehte genervt die Augen. «Willst du mit mir über Berufsbezeichnungen diskutieren oder unsere Mutter besuchen?»
Bastian nickte. «Okay. Gehen wir.»
Bevor sie die
Station Sonnenschein
betraten, hielt Bastian instinktiv die Luft an. Ein paar Sekunden später wusste er, dass der Uringestank genauso intensiv war wie bei seinem ersten Rundgang. Etwas anderes dagegen war neu: Zittrige, alte Stimmen, begleitet von einer kräftigen weiblichen Altstimme, sangen: «Im Frühtau zu Berge wir gehn, fallera …» Das war wohl der Singkreis, von dem die Heimleiterin geschwärmt hatte. Auffrischung der frühkindlichen Emotionen.
«… Wir wandern ohne Sorgen, singend in den Morgen …»
Mia lächelte Bastian an. «Wer hätte gedacht, dass unsere Mutter noch mal zur Sängerin wird?»
«Das glaube ich nicht», sagte Bastian. «Sie hat dieser Lagerfeuerromantik noch nie etwas abgewinnen können.»
«Da siehst du mal, wie schlecht du unsere Mutter kennst.» Mia zog ihren Bruder zu einem Fenster im Flur, von dem aus ein gläserner Erker an der Hinterfront des modernen Gebäudes zu sehen war. Tatsächlich, Hilde saß mit anderen Senioren an einem Tisch und öffnete an den richtigen Stellen den Mund. Ihre Wangen glühten vor Begeisterung.
«Werft ab alle Sorgen und Qual, fallera.»
Wahrscheinlich praktizierte man in diesem Heim eine Art von Gehirnwäsche, dachte Bastian. Oder der koffeinfreie Kaffee war mit einer ganz besonderen Substanz versetzt.
Er ließ Mia den Vortritt und blieb an der Wand stehen. Hilde hatte ihr Kommen bemerkt und erwiderte Bastians zum Gruß erhobene Hand mit einem Lächeln. Der Blick der Chorleiterin mit der praktischen grauen Kurzhaarfrisur fiel erheblich kritischer aus. Und als Bastian das nächste Liedende nutzte, um seiner Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Stirn zu drücken, fing er sich prompt einen strafenden Kommentar ein: «Die Liederstunde dauert noch zwanzig Minuten. Danach können Sie sich gerne mit Ihren Angehörigen unterhalten.»
«Lassen Sie sich nicht stören», gab Bastian zurück und verzog sich wieder an die Wand.
Die
Blauen Berge
und
Wir lagen vor Madagaskar
ertrug er stoisch, aber als die Chorleiterin
Maikäfer flieg
ankündigte, zog Bastian sein Handy aus der Tasche und schaute so konzentriert auf das Display, als habe er soeben eine wichtige SMS bekommen.
Mia folgte ihm vor die Tür. «Du willst doch nicht gehen?»
«Tut mir leid, ich muss eine halbe Stunde früher zum Dienst, anscheinend ist heute die Hölle los.»
Mia schnaubte. «Erzähl mir nichts, du hast einfach keinen Bock.»
«Stimmt, die Singerei geht mir tierisch auf die
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