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Muensters Fall - Roman

Muensters Fall - Roman

Titel: Muensters Fall - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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so Schwere, das sich so problemlos und schmerzfrei mit drei oder vier anderen Bekannten entwickelt hatte, allesamt Damen in der Blüte ihrer Jahre, o ja, diese ... Dimension, die sich ganz einfach nicht einstellen wollte im Umgang mit Marie-Louise Leverkuhn.
    So war es nun einmal. Bedauerlicherweise. Schwer zu sagen, woran das lag, aber zweifellos gab es hier eine Grenze in ihrer Freundschaft – sie hatte darüber schon oft nachgedacht –, eine unsichtbare Linie, über die zu treten man sich hütete. Die paar Mal, als sie es dennoch versucht hatte, konnte sie das Resultat unmittelbar in der Reaktion der Freundin ablesen. Genau abgewogenes Kopfschütteln. Zusammengekniffene Lippen,
hochgezogene Schultern ... abweisendes Schweigen. Als sie darüber nachdachte, musste sie außerdem einsehen, dass es so schon von Anfang an gelaufen war. Es war nichts, was sich im Laufe der Jahre entwickelt hatte, und vielleicht war es ja sogar so (pflegte Emmeline von Post in Momenten philosophischer Klarsicht zu denken), dass die Form der Beziehung zu unseren Mitmenschen eigentlich bereits bei den allerersten Kontakten festgelegt und definiert wird, den ersten Begegnungen, und dass danach nicht mehr viel an der Sache zu machen ist.
    Genau wie es in dieser amerikanischen Untersuchung stand, die sie vor ein paar Jahren durch den Buchclub bekommen hatte. Was nicht hieß, dass sie unbedingt darauf erpicht war, intime Details über Mann und Kind und ihr Zusammenleben von sich zu geben, ganz und gar nicht, aber dennoch waren die meisten anderen bereitwilliger als Marie-Louise Leverkuhn, wenn es darum ging, den Spalt zu ihrem Intimleben ein wenig zu öffnen. Und wenn auch nur ein kleines bisschen.
    Aber es war nun einmal, wie es war. Marie-Louise war nicht der Typ, der sich anvertraute, aber es gab natürlich noch andere Werte im Leben, sie konnten über ihre Gebrechen reden, über Medikamente und Rezepte für Rhabarbergrütze. Über Arbeitskollegen, Fernsehberühmtheiten und Gemüsepreise, aber das wirklich Private blieb – genau das: privat.
    Dass Emmeline von Post dennoch in einer Katastrophensituation wie jetzt anrückte, lag sicher daran, dass es sonst niemanden gab. Das wusste sie. Für Marie-Louise Leverkuhn war sie, genau wie sie es der Polizei erklärt hatte, die treue Freundin, die sich zur Verfügung stellte.
    Die treue und einzige.
    Also gab es gar keine Alternative.
    Während der Autofahrt hinaus in den sonntagsverschlafenen Vorort wurde nicht viel gesagt. Marie-Louise Leverkuhn saß zusammengekrümmt da, die Handtasche auf den Knien, starrte durchs Seitenfenster auf den Regenschleier und schien in hohem Grade unter Schock zu stehen. Die Schultern waren hochgezogen – wie zum Schutz gegen eine allzu harte und aufdringliche
Außenwelt –, und Emmelines Fragen beantwortete sie höchstens mit einem Kopfschütteln oder einem kurzen Ja oder Nein.
    »Hast du überhaupt geschlafen?«
    »Nein.«
    »Schaffst du es?«
    »Ja.«
    »Sollen wir deine Kinder anrufen?«
    Keine Antwort.
    O je, dachte Emmeline. Ihr geht es wirklich nicht gut.
    Was auch kein Wunder war. Ermordet? Waldemar Leverkuhn war ermordet worden! Emmeline von Post durchfuhr ein kalter Schauer. Wer um alles in der Welt konnte so etwas glauben? Der alte Knacker.
    Ein paar Minuten lang saß sie still da, während sie sich auf das Fahren konzentrierte, und versuchte, sich vorzustellen, wie es wohl ist, wenn man nach Hause kommt und seinen Alten in dieser Art zugerichtet vorfindet. Tot. Ermordet und im eigenen Blute badend, wie sie im Radio gesagt hatten. Mit einem Fleischmesser!
    Nach einer Weile gab sie es auf, sich das vorzustellen. Es war ganz einfach zu starker Tobak.
    Viel zu starker. Emmeline von Post schaute vorsichtig zu der erstarrten Freundin neben ihr hinüber. Die arme Marie-Louise, dachte sie, ich verspreche dir, ich kümmere mich um dich! Du bist bestimmt verwirrt und stehst unter Schock, die Hauptsache wird sein, ein paar Tabletten in dich reinzukriegen und dann ab ins Bett ... Ich hoffe nur, dass ich selbst stark genug bin.
    Als die Polizei sie am Morgen angerufen hatte, war ihr erster, unmittelbarer Impuls gewesen, der Freundin zu Hilfe zu eilen, aber erst jetzt, während sie neben der stummen Witwe im Auto saß, begann sie zu begreifen, welche Verantwortung diese Hilfe beinhaltete.
    Am besten, wenn das Schweigen nicht das Regiment übernimmt, dachte sie. Am besten, ich sage was.

    Das war kein schwerer Beschluss. Wenn es etwas gab, womit Emmeline von

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