Muensters Fall - Roman
Post nur schwer zurecht kam, dann war es das Schweigen.
»Du kannst in Marts Zimmer unterkommen«, sagte sie. »Dann hörst du den Verkehr auch nicht. Das ist doch sicher in Ordnung?«
»Ja.«
»Ich habe noch was von dem Lammbraten im Gefrierschrank. Den können wir essen, den mochtest du doch, nicht wahr? Dann brauchen wir nichts mehr einzukaufen.«
»Ja.«
»Meine Güte, ich sitze hier und rede vom Essen, und du musst doch vollkommen fertig sein.«
Keine Antwort.
»Waldemar, der doch so ein guter Mensch war.«
Wenn man die Dinge einfach eins nach dem anderen anpackt, dann wird es schon werden, dachte Emmeline von Post und legte ihre Hand auf den Arm der Freundin. Kommt Zeit, kommt Rat.
»Was für trübes Wetter«, sagte sie. »Dabei war es gestern doch noch richtig schön.«
Marie-Louise Leverkuhn ging am Sonntagnachmittag um halb drei Uhr in dem alten Kinderzimmer in der Geldenerstraat 24 ins Bett, und sie stand erst wieder um acht Uhr am Montagmorgen auf. Den ganzen Nachmittag und Abend hatte Emmeline immer wieder zu ihr hineingeschaut, und bevor sie selbst ins Bett ging, hatte sie vorsichtig ein Tablett mit Saft und Butterbroten auf den Nachttisch gestellt. Für die Nahrungsaufnahme und die Vitamine. Und wegen der Fürsorge. Obwohl, was ihre arme Freundin im Augenblick in allererster Linie brauchte, das war ja wohl sonnenklar: Ruhe und Frieden. Und das bekam sie. Wenn es auch nicht viel war, genau betrachtet.
Was Emmeline selbst betraf, so erlebte sie einen reichlich frustrierenden Nachmittag und Abend. Der Lammbraten fuhr
mehrere Male in den Gefrierschrank hinein und hinaus – bis sie ihn schließlich in den Kühlschrank stellte und beschloss, dass er das montägliche Mittagessen sein würde. Sie trank mindestens fünf Tassen Tee und goss zweimal die Blumen. Es war wirklich ein komisches Gefühl, zu wissen, dass die alte Freundin in Marts Zimmer lag. Mart, der vor acht Jahren endlich von zu Hause ausgezogen war, der aber immer noch in regelmäßigen Abständen kam und in seinem alten, unveränderten Jungenzimmer schlief – vor allem, wenn seine viel zu junge Frau sich wieder mal zickig benahm. Es war übrigens höchste Zeit gewesen, dass er überhaupt eine fand – fünfunddreißig war schließlich kein Alter, in dem man noch bei Mama zu Hause wohnte. Alles hat seine Zeit, wie es so schön heißt.
Aber jetzt war es also Marie-Louise Leverkuhn, die in seinem Bett lag, nachdem ihr Ehemann ermordet worden war. Während Emmeline vorsichtig im Haus herumschlich, um ihre Freundin nicht zu stören oder aufzuwecken, kam ihr der Gedanke, dass es doch nur gut war, dass Edward – ihr eigener Edward – jedenfalls so geschmackvoll gewesen war, an Krebs zu sterben, statt sich mit einem Fleischmesser abstechen zu lassen.
Ermordet! Das war ja schrecklich. Sie bekam an den Unterarmen jedes Mal Gänsehaut, wenn sie das Wort nur dachte – und ehrlich gesagt, schaffte sie es nur jeweils ein paar Minuten, an etwas anderes zu denken.
Nach und nach, als vor den Fenstern und in den Ecken schon deutlich die Dämmerung einsetzte, begann sie außerdem darüber nachzudenken, wer wohl als Täter in Frage kommen könnte, und das machte die ganze Sache nicht gerade besser. Es lief ein Mörder frei herum!
Dann glitten ihre Gedanken wieder zu Marie-Louise, zu ihrem gemeinsamen Samstagabend mit Whist und Portwein (vielleicht genau zu der Zeit, als Waldemar ermordet worden war!) — und zu der sonderbaren Zugeknöpftheit während der Autofahrt und der halben Stunde, bevor sie ins Bett gegangen war, und dann ... ja, dann hatte sie fast das Gefühl, als würde eine Art Erschöpfung sie überfallen. Wie ein Schwindel.
Es war doch wirklich sonderbar!
Man konnte natürlich nicht erwarten, dass ein Mensch sich in so einer Lage normal verhält, aber trotzdem! Da ist noch etwas anderes, dachte Emmeline von Post. Etwas vollkommen anderes, das ganz tief in der stummen Verschlossenheit der Freundin lag und rumorte. Gott weiß was.
Dann schüttelte sie den Kopf über sich selbst und musste sich eingestehen, dass es sicher nur die Stille im Haus war und die Dunkelheit, die aus den Ecken des Hauses hervorwuchs, und dazu die Gedanken an den blutigen Körper im Bett, die ihrer Fantasie reichlich Nahrung gegeben hatten ... aber trotzdem, trotzdem war nicht zu leugnen, dass sie genau genommen nicht besonders viel über Marie-Louise Leverkuhn und ihr Leben in all diesen Jahren wusste. Kaum etwas.
Und von ihrem Mann? So gut wie
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