Muensters Fall - Roman
Tür.
»Was wohl daran liegt, dass ich etwas müde bin«, erwiderte Münster. »Sollte eigentlich sieben Tage frei haben über die Feiertage, sind aber nur zweieinhalb geworden.«
»Nicht so witzig, wenn man eine Familie hat.«
Münster verzog das Gesicht.
»O doch, eine Familie zu haben ist wirklich witzig. Nur so verdammt viel zu arbeiten, das ist nicht witzig. Man verliert sozusagen unterwegs seine Seele.«
Moreno setzte sich ihm gegenüber und wartete auf die Fortsetzung.
»Und selbst?«, fragte Münster stattdessen.
»Sonderbar«, sagte Moreno nach einer kurzen Pause.
»Sonderbar?«
Sie lachte auf.
»Ja, sonderbar. Obwohl, eigentlich auch gut. Ist ein seelenloser Kommissar in der Lage zuzuhören? Es dauert nur eine halbe Minute.«
Münster nickte.
»Also, Claus ist ja aus New York zurückgekommen, trotz allem«, erklärte Moreno, während sie vorsichtig versuchte, einen kleinen Kaffeefleck auf ihrer blassgelben Jacke mit dem Nagel wegzukratzen. »Ich hatte sofort das Gefühl, dass er sich irgendwie verändert hatte ... ich glaube, ich konnte es direkt sehen. Begriff nicht, was es war, aber gestern rückte er damit heraus. Er hat eine andere.«
»Was?«, rief Münster. »Was zum Teufel ...?«
»Ja. Vor nicht einmal einem Monat war er dazu bereit, sich meinetwegen das Leben zu nehmen, und jetzt hat er ein neues, knackfrisches Verhältnis. Er hat sie in einem Restaurant in Greenwich Village kennen gelernt, sie sind mit dem gleichen Flugzeug zurückgeflogen, und ganz offensichtlich haben sie sich gesucht und gefunden. Sie heißt Brigitte und ist Redaktionssekretärin beim Fernsehen. Tja, Männer!«
»Stopp«, sagte Münster. »Nun schere bitte schön nicht alle über einen Kamm! Ich weigere mich, meine Person dieser Art von ... von Pfadfindermanier unterzuordnen.«
Moreno lachte kurz. Hörte dann auf zu kratzen und betrachtete den Fleck, der immer noch an der gleichen Stelle saß.
»Okay«, sagte sie. »Ich weiß. Wie dem auch sei, ich finde es gut, auch wenn es ein kleines bisschen sonderbar ist, wie gesagt. Wollen wir jetzt den Geschlechterkampf verlassen?«
»Gern«, sagte Münster. »Ich habe selbst im Augenblick mehr als genug davon.«
Moreno schaute etwas mitleidig, sagte aber nichts. Münster trank einen Schluck aus der Dose Selters, die auf seinem Tisch stand, und versuchte ein Rülpsen zu unterdrücken, musste aber trotzdem aufstoßen. Auf diese nach innen gewandte, höfliche Art, die einem die Tränen in die Augen treibt.
»Der Fall Leverkuhn«, sagte er dann und holte tief Luft. »Bist du bereit?«
»Ja. Ich bin bereit.«
»Dritter Akt. Oder ist es schon der vierte? Die Einteilung ist jedenfalls klar, zumindest in groben Zügen. Rooth und Jung leiten die Tagebuchsuche bei Leverkuhns. Reinhart und Heinemann übernehmen Van Eck. Du und ich, wir haben eher freie Hand. Übrigens kümmere ich mich erst mal nicht drum, was Hiller als erledigt und nicht erledigt ansieht. Ich persönlich denke, ich werde noch mal eine Runde bei Leverkuhns Kindern drehen ... bei allen dreien, denke ich.«
»Einschließlich der eingesperrten Tochter?«, fragte Moreno.
»Jawohl!«, antwortete Münster.
Auf Morenos Stirn zeigte sich eine Falte.
»Glaubst du, dass es Marie-Louise Leverkuhn war, die auch die Van Ecksche beiseite geschafft hat?«
Münster antwortete nicht sofort. Er blätterte ein wenig lustlos in den Papieren auf dem Schreibtisch. Kippte den Rest Selters in sich hinein und warf die Dose in den Papierkorb.
»Ich weiß nicht«, sagte er. »Sie hat es ja hartnäckig bestritten, und warum sollte sie das tun, wo sie doch schon ihren Mann umgebracht hat? Und dann noch sich selbst. Welches Motiv sollte sie dafür haben?«
»Frag mich nicht«, sagte Moreno. »Aber du glaubst, dass alles miteinander zusammenhängt?«
»Ja«, sagte Münster. »Das glaube ich. Ich weiß zwar nicht wie, aber das will ich verflucht noch mal rauskriegen.«
Er hörte selbst, von wie viel Müdigkeit der letzte Satz sprach, und konnte Moreno ansehen, dass auch sie es gehört hatte. Sie betrachtete ihn einen Moment lang, während die Falte auf ihrer Stirn stehen blieb und sie vermutlich nach tröstenden Worten suchte. Aber sie fand keine.
Ich wünschte, sie würde einfach um den Tisch kommen und mich in den Arm nehmen, dachte Münster und schloss die Augen. Oder wir würden uns ausziehen und miteinander ins Bett gehen.
Aber nichts dergleichen geschah.
32
»Hallo?«
»Ja, hallo«, sagte Jung. »Mein Name ist
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