Muensters Fall - Roman
danieder.
»Sind Sie wirklich der Meinung?«, fragte Heinemann. »Dass die Polizei sich Ihnen gegenüber unkorrekt verhalten hat?«
»Was?«, meinte Ruben Engel.
»Dass Sie unnötigerweise belästigt worden sind«, erklärte Heinemann. »Dann sollten Sie nämlich Anzeige erstatten.«
»Ja ... ja, wirklich?«, sagte Engel.
»Es gibt dafür sogar ein eigenes Formular. Wenn Sie möchten, kann ich veranlassen, dass es Ihnen geschickt wird.«
»Emh ... das ist nicht nötig«, sagte Engel. »Aber zum Teufel
noch mal, kommt endlich zum Ende, damit wir wieder Ruhe und Frieden im Haus haben.«
»Das ist etwas verzwickt«, erklärte Heinemann und schaute sich mit der Brille auf der Nasenspitze in der verräucherten Küche um. »Solche Mordermittlungen sind oft komplizierter, als die Leute sich das im Allgemeinen vorstellen. Es gibt eine Unmenge von Aspekten, die man berücksichtigen muss. Wirklich. Was trinken Sie da?«
»Wieso?«, fragte Engel. »Äh ... nur einen kleinen Weingrog ... um etwas Wärme in den Körper zu kriegen. Es zieht hier so verdammt in der Wohnung.«
»Ja, ach so«, sagte Heinemann. »Dann will ich auch mal nicht länger stören. Wissen Sie, ob Frau Mathisen nebenan zu Hause ist?«
Engel schaute auf seine Uhr.
»Sie kommt immer so gegen fünf Uhr nach Hause«, sagte er.
»Wenn Sie Glück haben ...«
»Wir werden sehen«, sagte Heinemann. »Und wie dem auch sei, entschuldigen Sie bitte mein Eindringen.«
»Ach, wenn’s weiter nichts ist«, sagte Ruben Engel. »Übrigens, das Bumspaar ist am Ausziehen.«
»Wie bitte?«, fragte Heinemann nach.
»Das Paar unter mir. Die haben bestimmt was Besseres gefunden. Die ziehen aus.«
»Ach, wirklich?«, wunderte Heinemann sich. »Davon wussten wir gar nichts. Vielen Dank für die Information.«
»Bitte, bitte«, sagte Engel.
Die Begräbniszeremonie für Marie-Louise Leverkuhn fand in einem Seitenchor der Keymerkirche statt, und außer dem Pfarrer und dem Beerdigungsunternehmer waren noch vier Personen anwesend, ausnahmslos Frauen.
Direkt neben dem Sarg, einer einfachen Sache aus Holz- und Hartfaserplatten, der aber während der Zeremonie von einer grünen Decke verdeckt war, die den Mangel gnädig verdeckte, saß Ruth Leverkuhn in ihrer Eigenschaft als nächste Angehörige.
Hinter ihr die anderen drei: ganz links Emmeline von Post, in der Mitte eine blasse Frau ungefähr im gleichen Alter, die, soweit Münster und Moreno verstanden, identisch war mit der Regine Svendsen, die Inspektor Heinemann die Informationen über die Tagebücher gegeben hatte. Ganz rechts eine ziemlich große, gut gekleidete Frau so um die fünfundvierzig, von der weder Moreno noch Münster die geringste Ahnung hatten, wer es sein könnte.
Sie selbst hatten sich strategisch günstig im Mittelschiff platziert, saßen dort in der harten, hellgebeizten Kirchenbank und blätterten verstohlen in ihren Gesangbüchern, während sie diskret das einfache Ritual fünfzehn Meter entfernt observierten.
»Wer ist die jüngere Frau?«, flüsterte Münster.
Moreno schüttelte den Kopf.
»Keine Ahnung. Warum ist der Sohn nicht da?«
»Krank«, erklärte Münster. »Behauptet er jedenfalls. Rooth hat heute Morgen mit ihm telefoniert.«
»Hm«, sagte Moreno. »Dann gibt’s wohl kein Gespräch mit ihm heute. Soll ich es einfach wagen und die Dame hinterher ansprechen? Sie muss ja in irgendeiner Weise zur Familie gehören.«
»Kann natürlich auch so eine Begräbnishyäne sein«, warnte Münster. »Davon gibt es alle möglichen Sorten. Aber hör dich mal um. Ich werde zusehen, ob ich ein Wort mit der Tochter wechseln kann.«
Er spürte, dass er gern hier saß, eng an Ewa Moreno in der schmalen Bank gedrückt und mit ihr flüsternd. Ihr so dicht ins Ohr flüsternd, dass ihr Haar sein Gesicht streifte.
Rede weiter, lieber Pfarrer, dachte er. Sorge dafür, dass die Zeremonie möglichst weit in die Länge gezogen wird, es macht überhaupt nichts, wenn du den ganzen Nachmittag redest.
Bin ich von allen guten Geistern verlassen? dachte er dann. Und das, obwohl er mit dem Gesangbuch in der Hand in der Kirche saß.
»Das macht nichts«, sagte die Frau, die Lene Bauer hieß. »Gar nichts, ich habe selbst ein paar Mal daran gedacht, Sie anzurufen, aber irgendwie bin ich dann doch nie dazu gekommen ... ja, eigentlich habe ich auch gar nicht so viel zu sagen, wenn man es genau nimmt.«
Auf Lene Bauers eigenen Vorschlag hin hatten sie sich in einer abgetrennten Ecke in der
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