Muensters Fall - Roman
aber es ist natürlich leicht, darüber zu spekulieren. Es geschah fast übergangslos, wenn ich es richtig verstanden habe. War erst gute zwanzig. Keine Ahnung, worum es eigentlich ging. Es war ja damals schon Jahre her, dass ich sie gesehen hatte. Man kann ja nur raten, und das bringt natürlich nicht besonders viel ... es ist so einfach, hinterher immer alles besser zu wissen.«
Sie schwieg. Moreno betrachtete sie, während sie ein Feuerzeug herausholte und die Zigarette anzündete.
»Sie wissen, dass Ruth lesbisch ist?«, fragte die Inspektorin, in erster Linie, weil sie nicht so recht wusste, wie sie das Gespräch fortsetzen sollte. Lene Bauer sog kräftig an ihrer Zigarette und nickte langsam mehrmals.
»Doch, ja«, sagte sie. »Aber es gibt so viele Gründe, das zu werden. Oder?«
Moreno hatte Schwierigkeiten, diese Antwort zu interpretieren. Hatte diese elegante Frau einen Hang in die gleiche Richtung? Hatte sie die Nase voll von den Kerlen? Sie trank von ihrem Wein und überlegte, und sah schließlich ein, dass sie
ziemlich weit abgeschweift war von dem, um das es eigentlich ging.
Aber worum ging es eigentlich?
Zweifellos eine gute Frage. Aber von etwas, das einer Antwort auch nur ihm entferntesten ähnelte, sah sie nicht den blassesten Schimmer. Zumindest im Augenblick nicht.
Es war wie immer. Manchmal, wenn man mitten in den Ermittlungen steckte, schien es, als könnte man den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Das Einzige, was dann half, war natürlich, zu versuchen, einen Berg oder eine Anhöhe zu finden, auf die man klettern konnte, um sich ein wenig Überblick zu verschaffen. Ein bisschen Distanz.
Sie spürte, dass Lene Bauer auf eine Fortsetzung wartete, aber es war schwierig, den richtigen Faden zu finden.
»Ihre Mutter?«, fragte sie aufs Geratewohl. »Ist sie noch am Leben?«
»Nein«, sagte Lene Bauer. »Sie starb bereits 1980. An Krebs. Aber ich glaube, sie hatte in den letzten Jahren ebenfalls kaum noch Kontakt zu den Leverkuhns. Mein Vater ist im Sommer gestorben. Aber er kannte sie noch weniger.«
Moreno nickte und trank den restlichen Wein aus. Dann beschloss sie, dass es nun genug war. Sie bedankte sich bei Lene Bauer für deren Entgegenkommen und bat, wieder mit ihr in Kontakt treten zu dürfen, falls etwas auftauchen würde, für das man vielleicht ihre Hilfe bräuchte.
Lene Bauer überreichte ihr eine Karte und erklärte, dass die Polizei sie jederzeit gern anrufen könnte.
Schön, dass es Menschen gibt, die in diesem Fall auch mal ein bisschen Willen zur Zusammenarbeit zeigen, dachte Moreno, als sie Rügers verlassen hatten. Sie waren nicht gerade reichlich gesät gewesen. Eher spärlich.
Was jedoch Lene Bauers Beitrag eigentlich in einem größeren Zusammenhang wert sein könnte, ja, das vermochte sie nur schwerlich zu sagen. Zumindest im Augenblick, wie gesagt. Mitten im Dickicht — das alles andere als spärlich erschien.
Vielleicht sollte ich meine Metaphern mal überprüfen, stellte Inspektorin Moreno etwas irritiert fest.
Ein andermal, nicht jetzt. Sie kletterte in ihr Auto und dachte, dass sie sich im Moment nichts sehnlicher wünschte, als die Sache mit Kommissar Münster zu diskutieren. Am liebsten in dieser flüsternden Art und Weise, in die sie am Vormittag in der Kirche verfallen waren, aber das war vielleicht etwas zu viel verlangt.
Reichlich zu viel wahrscheinlich. Sie startete den Wagen. Am besten verschob sie das Gespräch auf den morgigen Tag. Sicherheitshalber.
Nach diesen Überlegungen fuhr Moreno nach Hause in ihre momentane Wohnstätte und dachte den ganzen Abend lang über den Begriff Geschlechterkampf nach.
33
Gemeinsam mit den Polizeibeamten Klempje und Dillinger durchsuchten Rooth und Jung die Leverkuhnsche Wohnung im Kolderweg vier lange Stunden lang am Dienstag nach Frau Leverkuhns Beerdigung.
Das Ganze wäre wahrscheinlich ganz ohne Polizisten viel schneller gegangen, stellte Jung hinterher fest. Dillinger gelang es nämlich vor lauter Übereifer, einen Badezimmerschrank herunterzureißen, der sicher schon mehrere Jahrzehnte lang fest an seinem Platz gesessen hatte (da aber keiner der Wohnungsinhaber mehr am Leben war, ging Rooth davon aus, dass es keine größeren Probleme hinsichtlich des Schadenersatzes geben würde), und Klempjes ansehnlicher Leibesumfang stand die meiste Zeit im Weg – bis Jung es leid war und ihm den ausdrücklichen Befehl gab, hinaufzugehen und sich den Dachboden anzusehen.
»Aj, aj, Käptn«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher