Mürrische Monster
Hals, und undeutliche Gestalten ertranken. Er erhob sich, aber das Wasser stieg mit ihm an. Er versuchte zu schwimmen, konnte es aber nicht. Er ging unter. Er hörte Schreie.
Die Farben winselten qualvoll.
»He! Du tust ihnen weh!«, rief Lilli.
Zoot erschien und stieß Nate die lange Mittelzinke seines Dreizacks in den Fuß.
»Autsch!« Nate verdrängte seine Gefühle augenblicklich und leerte seinen Geist. Er hielt sich den Fuß und hüpfte auf einem Bein, während die erschrockenen Farben vor ihm zurückwichen und sich Trost suchend um Lilli scharten. Als er an sich hinabblickte, entdeckte er keine Verletzung an seinem Fuß – der Schmerz war nur Einbildung gewesen.
Zoot wich rasch zurück und baute sich mit hocherhobenem Dreizack zwischen Nate und den Farbdämonen auf, für den Fall, dass der Besucher erneut versuchen sollte, seine Gefühle auszudrücken.
»Es tut mir leid«, sagte Nate.
»Hast du schon mal daran gedacht, zu einem Therapeuten zu gehen?« Stirnrunzelnd winkte Lilli Zoot zurück. »So eine Reaktion habe ich von den Farben noch nie erlebt. Es ist ziemlich beunruhigend.«
»Ich gehe jetzt lieber«, sagte Nate und wandte sich zur Tür.
Nun wurde Lilli sanfter. »Hey, mach dir keine Sorgen, okay?« Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Du hast also ein paar Probleme. Na und? Bestimmt gibt es in dir auch Angenehmes zu entdecken. Wir müssen nur danach suchen.«
»Du hast es wirklich schön hier«, sagte Nate. »Es ist so friedlich. Aber ich sag dir, die Welt da draußen kann ein richtig hässlicher, unangenehmer Ort sein.«
»Aber sie kann auch wunderschön und sanft sein«, konterte Lilli.
»Es geschehen so viele schlimme Dinge.«
»Und viele gute.«
Nate seufzte. »Weißt du«, sagte er und gab die Debatte auf, »du könntest genau das sein, was mir fehlt.«
Auf dem Heimweg überschlugen sich Nates Gedanken. Gestern hatte er noch geglaubt, einer Seelenverwandten begegnet zu sein. Er hatte Lillis Fähigkeiten gespürt. Aber sie war nicht wie er. In mancher Hinsicht schon, in anderer hingegen waren sie völlig verschieden. Sie konnte Dämonen sehen, so wie er, aber sie war eine Kunstsammlerin, während er eine Art Tierpfleger war. Sie spürte nicht die Erdenschwere. Sie war frei wie der Wind. Sie zog nach Lust und Laune herum und sah nicht die dunkle Seite des Chaos. Er hatte nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass andere Leute, die die gleichen Fähigkeiten besaßen wie er, diese ganz anders einsetzen könnten. Dhaliwahl hatte den Anschein erweckt, es gebe nur eine Verwendung für die Fähigkeit, Dämonen sehen zu können – nämlich wie ein mürrischer Schiedsrichter nach Ärger Ausschau zu halten und Menschen und Dämonen voreinander zu schützen. Lilli belastete sich nicht mit solch schwerwiegenden Angelegenheiten. Sie war eher wie ein unbekümmertes Kind, das am Strand nach Muscheln sucht. Sie hatte ihm aufgezeigt, dass es für jemanden wie ihn mehr als eine Möglichkeit gab, sein Leben zu gestalten, und dass die Welt nicht so schwarz und weiß war, wie Dhaliwahl sie hatte erscheinen lassen. Nate begann sich zu fragen, welche Geheimnisse ihm sein verstorbener indischer Mentor wohl noch vorenthalten hatte.
13. Kapitel
Der Fuchs im Gänsestall
Neugierig beobachtete der Dämonenfresser, wie Nate losging. Auch der Junge war unter der Brücke gewesen, wo der Troll hockte, und auch er roch intensiv nach Dämonen.
Dann richtete er sein Augenmerk auf den Wohnwagen; sein Appetit war größer als seine Neugier. Ihm knurrte schon der Magen. Im Wohnwagen gab es viele Dämonen. Keine großen, aber eine riesige Auswahl an kleineren Exemplaren. Nun kam auch das Mädchen heraus, das sich um die Geschöpfe kümmerte, sperrte die Tür ab und ging davon. Der Dämonenfresser hatte sie in San Francisco dabei beobachtet, wie sie eine bunte Malerei von einem Eisenbahnwaggon heruntergelockt hatte, indem sie sie einfach zu sich winkte. Dann hatte sie sich das Bild in den Arbeitskittel gestopft und mitgenommen. Der Dämonenfresser hatte sich auf den Eisenbahngleisen herumgetrieben und von den lustigen und erschreckenden Bildern ernährt, die herumstreunende Jugendbanden mit Spraydosen an die Waggons gesprüht hatten. Deshalb hatte er sich von ihr betrogen gefühlt und sich gesagt, dass sie ihm eine ordentliche Mahlzeit schuldete. Ihr nach Seattle zu folgen war kein leichtes Unterfangen gewesen und hatte einen Gestaltwandel erfordert, aber der Umzug hatte sich als interessant und
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