Mürrische Monster
Gliedmaßen zum Graben wachsen lassen.
Seattle aber schien ein einträgliches Jagdrevier zu sein. Genau genommen machten für ihn die in dieser eigentümlichen Stadt verborgenen Dämonen einen Großteil ihrer Anziehungskraft aus. Einige hatten sich ja schon als überaus schmackhaft erwiesen, dachte er, und leckte sich über die zuckenden feuchten Lippen. Und sobald sich der Troll das nächste Mal rührte, würde ihm auch der hervorragend munden.
Fürs Erste aber musste er mit dem bunten Wohnwagen vorliebnehmen, den er seit hunderten von Meilen verfolgte. Das Gefährt roch intensiv nach Chaos. Diese junge Menschenfrau schien darin zu wohnen und die dort lebenden Dämonen zu hüten. Sie würde keinen großen Widerstand leisten, sagte sich der Dämonenfresser. Sie flitzte ständig von einem Geschöpf zum anderen und starrte sie bewundernd an ; sie sammelte nur die schönen Exemplare, als wären es Wildblumen. Sie kam ihm nicht sehr kämpferisch vor.
Während der Dämonenfresser über künftige Leckerbissen nachdachte, drückte er mit einem langen stachligen Arm fest zu und entlockte dem großäugigen Schulhofdämon, den er energisch ins Gras presste, ein qualvolles Quieken. Die spitzen Stacheln bohrten sich an dutzenden Stellen in das hilflose Geschöpf.
Während drinnen die Schulstunde im Gange war, hatte der Dämonenfresser den munteren kleinen Kerl eingefangen, der allein unter dem Klettergerüst gehockt und freudig auf die große Pause gewartet hatte, in der er die Kinder in fröhliche, kichernde Aufregung versetzen konnte. Damit war es vorbei: Dem freundlichen Dämon quoll bereits grünes Chaos aus den vielen Wunden, und wenn die Schüler nachher herauskämen, dann wäre er längst verdaut.
12. Kapitel
Der Hüter und
die Sammlerin
Nate ging durch einen Vorhang aus bunten Perlen in allen Formen und Größen. Die herabhängenden Ketten schwangen wie von Zauberhand zur Seite und gaben den Weg frei. Er trat ins Wohnzimmer und war verblüfft, dass es viel, viel größer war, als das Äußere des Gefährts es vermuten ließ. Die Wände waren voller improvisierter Gemälde, Graffiti und Zeichnungen, alle ständig in Bewegung. Während Nate sie anschaute, verschwammen sie zu neuen Gebilden. Die Skizzen drehten und verschoben sich, neue zeichneten sich von selbst. Die Wohnzimmermöbel waren an die Wände und auf den Boden gemalt.
»Setz dich«, sagte Lilli.
Nate hatte inzwischen Vertrauen zu ihr gefasst, deshalb lehnte er sich zurück und fand sich – wundersamerweise – auf einem an die Wand gemalten Stuhl sitzend wieder.
»Wo hast du das alles her?«, fragte er.
»Ich entdecke es draußen in der Welt und sammle es. Diese Dinge ziehen mich an.« Hinter ihr entstand jetzt ein Porträt von Lilli und folgte ihren Bewegungen wie ein Schatten. »Und ich ziehe diese Dinge an. Wenn ich in Städten flüchtige oder instabile Schönheit entdecke, dann biete ich ihr an, sie herzubringen und ihr ein Zuhause zu geben, einen Ort, wo sie überleben kann, damit sie nicht verloren geht. Was du hier siehst, habe ich über zehn Jahre hinweg zusammengetragen.«
»Es ist Chaos«, sagte Nate. »Ich sehe es auch, aber du gehst damit ganz anders um als ich.«
»Ich bin ein Sammler. Du etwa nicht?«
»Doch, in gewisser Weise schon. Aber ich betrachte diese Sachen aus einem anderen Blickwinkel. Und ich bezeichne mich als Hüter.«
»Bei dir klingt das, als wäre es furchtbar anstrengend.«
»Ist es auch.«
»Daran sollten wir arbeiten«, schlug sie vor. »Hässli-che Gedanken, hässliches Karma. Warum versuchst du nicht mal an etwas Schönes zu denken?«
Nate starrte sie an, und ihre Aura wechselte zu einem leuchtenden Pink.
»Etwas anderes, Dummerchen. Etwas, das tief in deinem Herzen steckt. Du kannst es auf die wandelnden Kunstwerke an den Wänden projizieren. Sie reflektieren die Gedanken derjenigen, die sich auf sie einlassen. Sie werden dir helfen, deine Empfindungen zum Ausdruck zubringen.«
Nate versuchte in sich zu gehen und in seine Gefühlswelt einzutauchen. Plötzlich verrutschten die Farbflächen und flackerten und wimmerten.
«Fröhliche Gedanken ...«, wies Lilli ihn an.
Nate gab sich Mühe und versuchte, sich seine Empfindungen bewusst zu machen. Das hatte er schon seit einer ganzen Weile nicht mehr getan, und es fiel ihm schwer. Die Farben verschwammen, wurden trüb. Ein schmerzerfülltes Kreischen ertönte, während sich um ihn herum eine grauenvolle Szenerie materialisierte – das Wasser stand ihm bis zum
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