Mürrische Monster
es keine Belohnungen, keine Zeitungsfotos und keine Gespräche mit sonderbaren Fremden.«
»Du bist doch nicht mein Vater.«
»Wir sind hier in meinem Haus, also bestimme ich die Regeln«, entgegnete Nate.
Sandy blätterte im Dämonenhüter-Kompendium. »Hier steht aber etwas anderes drin. Wartet, ich finde die Stelle.«
»Gib das her!« Nate riss ihr das Buch aus den Händen.
»Ich dachte, ich soll für dich daraus vorlesen.«
»Aber nicht, damit du es gegen mich verwendest!«, schimpfte Nate wütend.
»Was ist denn nur in dich gefahren?«, fragte Sandy argwöhnisch. »Du verhältst dich total komisch, seit –«
In dem Moment klopfte es an der Tür. »Ich geh schon«, sagte Nate und freute sich, die Frage nicht beantworten zu müssen.
»Is wahrscheinlich irgendein Fensehsender, der die tollen Troll-Fänger interviewen will«, rief Richie ihm nach.
»Eher ist es die Polizei, die uns ausfindig gemacht hat und erfahren will, wie wir die Skulptur zurückgeschafft haben«, murmelte Nate.
Aber als er die Tür öffnete, standen keine Polizisten oder Fernsehleute vor ihm. Es war Lilli, und sie war tränenüberströmt.
»Sie sind verschwunden«, schluchzte sie.
»Wer?«, fragte Nate.
»Alle.«
Lillis Wohnwagen tauchte wie ein einsamer schwarzer Kasten am Ufer des Lake Union auf, scharf umrissen vor dem mondbeschienenen Wasser. Nate, Richie und Sandy gingen darauf zu; Lilli blieb ein Stück zurück.
»Ich kann da nicht hineingehen«, flüsterte sie. »Es ist zu schrecklich.«
Nate bedeutete ihr, stehen zu bleiben, und schlich vorsichtig auf den umgebauten Bus zu, Richie im Schlepptau. Als Nate vor dem eingeschlagenen Fenster verharrte, schob Richie sich an ihm vorbei und versetzte der Falttür einen kräftigen Tritt.
RUMMS!
Die Bustür bog sich nach innen und öffnete sich ein Stück. Ein Luftzug wehte Nate ins Gesicht. Der schwere Räucherstäbchenduft von vorhin war verschwunden.
Stattdessen roch die lauwarme Luft nach ... Nate wusste es nicht genau.
»Nicht so stürmisch«, warnte er seinen Lehrling, als Richie auf die Tür zutrat, um einen Blick in den Bus zu werfen. »Es könnte gefährlich sein.«
»Es is stockduster«, pflichtete Richie ihm bei, der keine Lust hatte, tatsächlich den Kopf ins Innere des Gefährts zu stecken.
Nate schaute Richie über die Schulter. Beide hielten die Luft an.
KLICK!
Ein Lichtstrahl durchschnitt die Dunkelheit. Die Jungen schraken zusammen und fuhren herum.
»Sandy!«, blaffte Nate.
Sie stand mit einer Taschenlampe hinter ihnen. »Was ist denn?«, fragte sie, während sie ins Innere des Busses leuchtete.
Im hellen Licht kamen saubere weiße Wände zum Vorschein. Nate starrte mit offenem Mund hinein. Die faszinierenden Farbgebilde waren verschwunden. Die Möbel ebenso. Die Zimmer auch. Das Innere das Busses war zu einem einzigen kleinen Raum zusammengeschrumpft, der allem Anschein nach nichts weiter war als ... der leere Innenraum eines ausgeschlachteten Busses.
Plötzlich erkannte Nate den Geruch oder vielmehr das Fehlen aller Düfte. Der Bus roch steril. Die Gerüche waren verschwunden.
Verwirrt kletterte Sandy hinein. »Was ist denn nun soooo schlimm, bitte schön?«
»Es ist so, wie sie sagt«, flüsterte Nate und folgte Sandy. »Alles, was sie besessen hat, ist weg.«
»Gestohlen?«
»Nein«, sagte Nate.
»Und warum flüsterst du?«, fragte Sandy. »Hier ist doch niemand.«
Deutlich entspannter stieg nun auch Richie in den Bus. »Kumpel, ich hab Erfahrung mit solchen Sachen: Es sieht aus, als wäre all ihr Zeug geklaut worden.«
»Niemand konnte die Dinge abtransportieren, die Lilli gehörten«, sagte Nate stirnrunzelnd.
»Woher weißt du denn, was sie hatte?«, fragte Sandy.
»Ich muss Lilli ein paar Fragen stellen«, sagte Nate schnell und sprang aus dem Bus.
Lilli wartete draußen, am Boden zerstört. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Nate legte ihr die Hände auf die Schultern.
»Wo warst du, als das passiert ist?«, fragte er.
»Zoot und ich haben den Tag am Pike Place Market verbracht«, schluchzte sie.
»Könnte es sein, dass sich deine Dämonen vor dir verstecken, um dir einen Streich zu spielen? Pernikus macht das ständig mit mir.«
Sandy und Richie traten zu ihnen, um zuzuhören.
»Nein, nein, nein.« Lillie schüttelte den Kopf, so dass die Tränen nach links und rechts spritzten wie bei einem feuchten Hund.
»Hast du die Tür offen gelassen? Vielleicht sind sie ausgebüxt.«
»Nein. Sie waren gern
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