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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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das aus einem zehn Kilo schweren, gusseisernen Block bestand, der einen Bürstenbelag an der Unterseite hatte und mit einem Besenstiel verbunden war. Schon meine Mutter durfte, als sie klein war, Blocker fahren – ein Ritual, das an die Enkelkinder weitergegeben wurde und sowohl den Boden als auch die mitfahrende Person glücklich machte.
    Sobald wir in der Wohnung waren, ging ich wie eine Katze schnuppernd durch die Zimmer und prüfte nach, ob alles roch wie immer: die Küche nach Hefe und angebratener Butter, die Stube nach geöltem Holz und alten Polstermöbeln, das Bad nach Ringelblumensalbe, Johanniskrautöl und Gallseife. Omageruch überall. Das machte mich froh, denn dass sich mein Körper beinahe täglich veränderte, war beunruhigend genug, und ich wusste Beständigkeit zu schätzen.
    Nachdem mein Koffer verstaut war, buken wir einen Apfelkuchen. Oma schälte die Äpfel und viertelte sie, während ich die Zutaten für den Teig in eine Schüssel gab. Obwohl sie ein Rührgerät besaß, das irgendwo in ihrem Küchenschrank lag, bearbeitete sie den Teig lieber mit dem Schneebesen, und zwar ausschließlich im Uhrzeigersinn. Nur so würde der Kuchen locker und luftig, sagte sie.
    Während der Kuchen im Backofen war, diktierte sie mir das Rezept, das ich mit meinem Schönschreibfüller, der eine schräg angeschnittene Feder hatte und auf den ich sehr stolz war, in mein extra dafür angelegtes Heft schrieb.
    VERSUNKENER APFELKUCHEN (von Oma Stuttgart)
    3  Eier
    150  g Zucker
    100  g Mehl
    50  g Fett (Rama)
    Eiweiß schlagen, das Eigelb mit den restlichen Zutaten verrühren, dann das Eiweiß unterheben. Eine Springform gut fetten und mit Brosamen oder gemahlenen Mandeln bestreuen, den Teig hineingeben. Geschälte, entkernte, in Viertel geschnittene Äpfel auf den Teig legen und bei 180 – 200  Grad 35 bis 45  Minuten backen.
    Das Abendessen ließen wir ausfallen, genau wie das Frühstück und das Mittagessen am nächsten Tag. Es gab schließlich Apfelkuchen. Und zum Nachtisch Bauchschmerzen. Zu Hause bekam ich in solchen Fällen einen Fingerhut Jägermeister auf Ex. Er zählte nicht als Alkohol, sondern als Medizin.
    »Entweder du musst spucken oder es geht dir besser«, sagte meine Mutter, und spucken musste ich nie.
    Oma war nicht so radikal. Sie massierte mir stattdessen die Füße an der Stelle zwischen Knöchel und Ferse, die laut Fußreflexzonen für die Verdauung verantwortlich ist. Dabei lag ich auf der Massageliege, an deren Kopfende ein lebensgroßes Skelett über den Patienten wachte.
    Das ganze Wohnzimmer sah aus wie eine Arztpraxis, nur gemütlicher. An der Wand hingen Anatomie-Tafeln – »Die menschliche Muskulatur«, »Das menschliche Gehirn«, »Das Lymphsystem«, »Die Fußreflexzonen« –, in den vollgestopften Regalen stapelten sich geheimnisvolle Bücher über Akupunktur, Akupressur, Ganzheitliche Medizin, Kristalltherapie und Reiki. Am liebsten aber war mir die Bach-Blütentherapie-Box, die wie ein Gesellschaftsspiel aussah. Sie bestand aus 38 verschiedenen Karten mit Fotos von Pflanzen, deren Namen – Tausendgüldenkraut, Holzapfel, Gefleckte Gauklerblume, Doldiger Milchstern – ich beim Lesen immer leise vor mich hinsprach, weil sie so schön waren. Wenn ich meine fünf Lieblingskarten ausgewählt hatte, sah ich auf der Rückseite nach, was sie bedeuteten.
    Tausendgüldenkraut: Sie können nicht Nein sagen, sind immer für andere da, Ihre Gutmütigkeit wird leicht ausgenutzt.
    Schließlich holte Oma ein Köfferchen mit Ampullen, aus denen sie mir meine ganz persönliche Essenz zusammenmischte. Ich passte sehr gut auf das kostbare Fläschchen auf, denn laut Oma half der Inhalt gegen alles: Liebeskummer, Verstopfung und sogar brüchige Haare und Nägel.
    Regelmäßig kamen auch andere Menschen vorbei, die sich von Oma die Füße massieren ließen. Einer von ihnen war Herr Gruber. Sie hatte ihn bei der Heilpraktikerausbildung kennengelernt, und obwohl er noch viel älter aussah als Oma, machte er ihr Avancen, was ich einerseits ungehörig fand, aber andererseits auch verstehen konnte. Denn Oma war schön, mit ihren veilchenblauen Augen und den weißen Haaren, die sie seit dem Tod meines Opas wachsen ließ (er hatte einen praktischen Bob mit einer leichten Dauerwelle bevorzugt). Inzwischen waren die Haare hüftlang und Oma verwandelte sie jeden Morgen mit Haarkämmen zu einer Hochsteckfrisur, die sie mit Anmut trug. Obwohl sie nur wenig Schmuck besaß, zierte immer eine

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