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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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sauer. So wie die Äpfel, die sie unbedingt haben wollte.
    »Was willst du überhaupt mit den ganzen Gravensteinern?«, fragte sie.
    »Ich mache Saft draus.«
    »Für dich?«
    »Auch. Den Rest verkaufe ich.«
    Tante Hiltrud schnappte nach Luft. »Das sieht dir ähnlich. Immer denkst du nur ans Geld!«
    »Du kannst ja auch Saft machen, wenn du willst. Niemand hindert dich daran.«
    »Ich lass mich auch von niemandem daran hindern!« Tante Hiltrud drehte sich um. »Herbert«, schrie sie. »Wir brauchen noch Gravensteiner!«
    Und so weiter. Dabei hatte sowieso jeder einen anderen Lieblingsapfel. Braeburn, Gala, Goldparmäne, Jonagold, Gravensteiner, Boskop, Elstar, Cox Orange – nur Oma mochte alle Äpfel gleich gern. Meine Mutter hingegen konnte wegen ihrer Kernobstallergie keinen einzigen Apfel essen. Ich wusste, dass sie darüber sehr traurig war, denn manchmal sah ich, wie sie ein besonders rotbackiges Exemplar in die Hand nahm, an ihm roch, seufzte, und es wieder weglegte.
    Hatten wir die Äpfel endlich aufgeteilt, karrten wir sie tüten- und kistenweise nach Hause und stellten sie dort in den Keller zum Überwintern. So gern ich die Äpfel auch mochte, wenn ich sie direkt vom Baum aß – je länger sie im Keller lagen, desto unattraktiver wurden sie für mich. Vor allem im Vergleich zu den Äpfeln, die meine Freundinnen in der Schule dabeihatten: makellose, glänzende, gleichmäßig gefärbte Granny Smiths. Gebotoxte amerikanische, genmanipulierte Äpfel, deren Geschmack zweitrangig war, da einem ihr Aussehen den Atem verschlug. Die Äpfel in unserem Keller hingegen waren wurmstichig und runzlig und immer gab es eine Stelle, um die man drum herumessen musste.
    Auch an diesem Tag war Oma im Garten gewesen. Kaum saßen wir in der Straßenbahn, holte sie einen kleinen, hellgrünen Apfel heraus, polierte ihn an ihrem Rock, reichte ihn mir, griff nach einem weiteren und sagte: »Klaräpfel. Die sind besonders saftig.«
    Wir kauten im Gleichtakt, der Saft lief mir über das Kinn und tropfte auf meine Jeans. Ein junges Mädchen, das uns gegenübersaß, schaute interessiert zu, worauf Oma in ihrer Tasche kramte und ihr einen Apfel hinhielt.
    »Bitteschön«, sagte sie. »Frisch gepflückt.«
    Das Mädchen errötete, bedankte sich und nahm ihn entgegen. Oma hasste Geschenke. Jedenfalls die, die für sie bestimmt waren; andere Menschen zu beschenken verschaffte ihr jedoch eine innere Befriedigung. Also teilte sie ihr Brot, ihre Liebe und alles andere. Als mein Opa an einem Herzinfarkt starb, löste sie seinen Handwerksbetrieb auf und machte eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. Von da an kamen eben andere in den Genuss ihrer Großherzigkeit. Sie spezialisierte sich auf Fußreflexzonenmassage, eine sanfte Art, Menschen zu heilen, ganz ohne Spritzen. Das hätte ihr vermutlich auch mehr wehgetan als den Patienten.
    Vier Äpfel später verließen wir die Straßenbahn und gingen zu Fuß weiter, bis wir schließlich Omas Straße erreichten. Ihr Haus war das kleinste von allen, es schmiegte sich an die hohen Bürogebäude, die in den letzten Jahren links und rechts davon errichtet worden waren. Eine Trauerweide im Hinterhof winkte etwas wehmütig mit ihren herunterhängenden Ästen, als verabschiede sie sich noch immer von ihren Freunden in der Nachbarschaft, die im Zuge der Modernisierung gefällt worden waren.
    Auch Uroma war nicht mehr da. Sie wohnte früher im Erdgeschoss und ich vermute, dass sie einen Pferdefuß hatte, aber sicher bin ich mir nicht. Ich kannte nur ihren Kopf. Den streckte sie immer dann zum Fenster raus, wenn mein Cousin und ich mit dem Wasser in der Regentonne spielten.
    »Geht ihr wohl vom Wasser weg«, keifte der Kopf und wackelte hin und her: »Das brauche ich für meine Blumen!« Dann rannten wir so schnell wir konnten und brachten uns im Schuppen hinter dem Haus in Sicherheit.
    »Die kann uns gar nichts, wir sind sowieso schneller«, sagte mein Cousin und wir lachten, aber nachts träumte ich von Uromas Kopf, der hinter mir herrollte.
    Mittlerweile wohnte im Erdgeschoss ein Student, der sich ebenso wenig für das Regenwasser interessierte wie ich. Die Zeiten waren vorbei.
    Im ersten Stock befand sich Omas Wohnung. Alle Zimmer gingen fächerförmig vom Flur ab, auf dessen Linoleumboden man herrlich auf Wollsocken herumrutschen konnte. Und dicke Socken brauchte man, denn bei Oma wurde nur in der Stube geheizt. Regelmäßig trug sie Bohnerwachs auf und polierte den Boden mit dem Blocker: ein Gerät,

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