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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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Süßwasserperlenkette ihren Hals und ihre geblümten Kleider und Röcke wippten so mädchenhaft auf und ab, dass ich mir schwor, niemals so auszusehen wie die anderen Omas, die ich kannte, mit ihren kurzen, gefärbten Haaren und den dicken Beinen, die in weißen Gesundheitsschuhen mit Lüftungslöchern steckten. Denn alt werden musste ich wohl, aber dann wenigstens in Würde.
    Während Oma also im Wohnzimmer Herrn Grubers Füße knetete, lag ich auf dem Sofa im Zimmer nebenan und blätterte in der Apothekenumschau . Durch die angelehnte Tür hörte ich, wie sie sich halblaut unterhielten und Herr Gruber meiner Oma Komplimente machte, die sie lachend abtat. Als er gegangen war, hatte Oma ganz rosige Wangen, und einige Haarsträhnen hatten sich aus ihrer Frisur gelöst. Wir aßen die Kuchenreste direkt aus der Springform, die auf dem Tisch stand, und ich dachte nach.
    »Sag mal, Oma, warum hast du eigentlich keinen neuen Mann?« Mein Opa war gestorben, als ich zwei war, und ich dachte, ihr müsste ganz schön langweilig sein, so alleine. Oma stand auf und wischte die Krümel vom Tisch in ihre hohle Hand. Dann drückte sie ihren Rücken durch, stemmte die Arme in die Hüften und sagte: »Ich habe lange genug jemandem hinterhergeräumt! Jetzt will ich mich endlich mal um mich selbst kümmern.«
    Darauf wusste ich nun nichts zu sagen, doch sie schob noch hinterher: »Ein Mann ist da nur im Weg. Du wirst noch an meine Worte denken.«
    »Aber der Herr Gruber …«
    »… ist etwas ganz Besonderes«, sagte sie. »Er kann nämlich die Aura von anderen Menschen sehen.«
    »Die Aura?«, fragte ich.
    »Das ist das Energiefeld, das jeden Menschen umgibt. Es sieht aus wie ein bunter Schatten«, sagte Oma.
    Anhand der Aura könne man, so lernte ich, ganz einfach erkennen, wer gut und wer böse ist. Ich war schockiert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht gewusst, dass mein Charakter derart durchschaubar war. Welche Farbe meine Aura wohl hatte? Grün, blau, rot? Oder, Hilfe, etwa schwarz? Schließlich hatte ich in letzter Zeit ein paar Mal gelogen und außerdem niederträchtige Tagträume gehabt, in denen Janina, die Klassenschönheit, plötzlich schlimme Akne bekam. Aber ich war neugierig. Herr Gruber sollte auch meine Aura sehen!
    Am nächsten Tag übte ich mich in reinen Gedanken. Tatsächlich war das weitaus schwieriger, als etwas Nettes anzuziehen und sich die Haare zu kämmen. Als Herr Gruber an der Tür klingelte, hatte ich mein Inneres so aufgehübscht, dass ich mich ganz pink fühlte. Ich stellte mich in Position. Brust raus, Schultern nach unten, Pobacken zusammenkneifen.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Hallo«, sagte Herr Gruber.
    Er sah so normal aus, gar nicht wie jemand, der in Menschen hineingucken kann.
    »Du bist also die Enkeltochter«, sagte er freundlich und zog seine Schuhe aus. Ich strahlte und hoffte, die Energie um mich herum würde das auch tun. Aber ich spürte – nichts. Oma nahm Herrn Gruber seinen Mantel ab, schob uns in die Stube und sagte: »Ich mache uns erst mal einen Tee.«
    Nachdem Oma in der Küche verschwunden war, hörten wir, wie sie mit dem feinen Porzellan klapperte, und da wir nicht wussten, was wir sagen sollten, setzten wir uns an den Tisch, wo ich versuchte, meine Beine ruhig zu halten. Mitten in unser Schweigen kam Oma mit dem Tee herein, eine selbstgepflückte Kräutermischung aus dem Garten. Während sie die Tassen füllte, hielt ich es nicht länger aus.
    »Können Sie mir bitte sagen, wie meine Aura aussieht?«, fragte ich in Richtung Herr Gruber, ohne ihn anzuschauen, denn mein Anliegen kam mir auf einmal recht egozentrisch vor. Nach einer kurzen Pause hob ich meinen Blick und sah, wie er mich musterte.
    »Gut«, sagte er. »Sie sieht gut aus. Mach dir keine Sorgen.«
    Dann wedelte Oma ihn vom Stuhl Richtung Behandlungszimmer und schloss die Tür. Ich blieb alleine sitzen. Das war alles? Empörung bahnte sich ihren Weg aus meinem Bauch nach oben. Keine Farbanalyse, keine detaillierte Beschreibung meiner inneren Qualitäten. Einfach nur »Gut«. In Schulnoten gesprochen eine Zwei. Dabei hatte ich mir vorgestellt, wie Herr Gruber meine Aura in den schillerndsten Farben schildern würde, regenbogenbunt und mit Glitzer obendrauf und Einhörnern, die spazierengaloppieren. Die Operation Aura war vergeudete Zeit gewesen. Obwohl, nicht ganz. Als die Schule wieder losging, erzählte ich Janina, dass ich in den Ferien gelernt hatte, die menschliche Aura zu sehen. Und dass sie, leider

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