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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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leider, was das anging, nun ja, noch an sich arbeiten müsse. Barbie hin oder her. Danach war Janina ein paar Wochen lang außergewöhnlich ruhig.
    Die folgenden Urlaubstage verbrachten wir mit Fußmassagen, Gartenbesuchen in der Herbstsonne und einem Bienenstich in meinem Fuß, den Oma kurzerhand aussaugte und der dann gar nicht mehr wehtat. Außerdem brachte mir Oma beim Warten auf die Straßenbahn bei, wie eine Dame zu gehen, indem sie auf der weißen Linie, die den Bahnsteig begrenzte, zierlich einen Fuß vor den anderen setzte. Am letzten Tag schenkte sie mir eine Kette mit einem Rosenquarz. Der Anhänger war konisch geformt und wie ein Diamant geschliffen, sodass sich das Licht darin brach.
    »Er beantwortet dir alle wichtigen Fragen des Lebens«, sagte Oma und legte mir die Kette in die Hand. Das wunderte mich, denn bisher dachte ich, dafür seien meine Eltern oder die Lehrerin zuständig.
    »Wie meinst du das?«, fragte ich.
    Oma fasste mit zwei Fingern den Verschluss der Kette und ließ sie hin- und herschwingen.
    »Das ist ein Pendel. Du stellst eine Frage, die mit ›Ja‹, ›Nein‹ oder ›Vielleicht‹ beantwortet werden kann, und das Pendel gibt dir eine Antwort.«
    Sie schenkte mir noch ein Buch, in dem alles genau beschrieben war, und ging zur Tür.
    »Warte«, sagte ich. »Woher weiß das Pendel die richtige Antwort?«
    Oma drehte sich in der Tür um.
    »Weil sie schon in dir drin ist.« Dann ging sie in die Küche, um Maultaschen zu machen.
    Ich schlug das Buch auf. Pendeln. Das hörte sich vielversprechend an, jedenfalls besser als dieses doofe Aura-Gegucke. Akribisch befolgte ich die Anleitung. Also. Gerade hinsetzen. Ellbogen auf den Tisch stützen, Kette mit Anhänger locker festhalten. Atmen. Das Pendel justieren, damit klar ist, was »Ja« und was »Nein« bedeutet. Vor- und Zurückpendeln, dabei »Ja« denken. Ja, ja, ja, ja, ja. Nach links und rechts pendeln: Nein, nein, nein. Kreisen lassen. »Vielleicht« denken. Okay, jetzt der Test: Bin ich ein Mädchen? Das Pendel schwingt vor und zurück. Gut, es ist vertrauenswürdig. Und dann, endlich, die Frage, die an Wichtigkeit kaum zu übertreffen ist: Ist Jakob genauso in mich wie ich in ihn?
    Das Wort, um das es eigentlich ging, erschien uns zu groß, um es auszusprechen, also behalfen wir uns mit diesem grammatikalisch unkorrekten Ausdruck, wenn es um Liebe ging, beziehungsweise das, was wir dafür hielten. Doch das Pendel bewegt sich nicht. Die Hände schwitzen. Der Oberarm fängt an zu zittern. Vergebliche Versuche, die eigenen Gedanken nicht zu beeinflussen. Auf das Pendel starren. Mich dabei erwischen, wie ich denke, dass Jakob mich einfach lieben muss, weil sonst – nein, ich denke an nichts. Rein gar nichts. Das Pendel fängt an, sich zu bewegen. Im Kreis. Nein, nein, nein, das ist falsch, das kann nicht sein! Doch dann: Vor. Zurück. Vor. Zurück. Ja? Ja! Dankeliebergottfallsesdichgibt. Bester Urlaub meines Lebens!
    »Na, wie war es bei Oma?«, fragte meine Mutter, die mich am Bahnhof mit dem Auto abholte.
    »Super!«
    Ich zog den Anhänger aus der Jackentasche und hielt ihn ihr hin.
    »Ich kann jetzt Sachen auspendeln.«
    Meine Mutter schaute kurz zu mir rüber und wieder auf die Straße. Sie schüttelte langsam den Kopf.
    »Du glaubst das doch nicht etwa.«
    Ich zuckte mit den Achseln. Nein, ich glaubte es nicht, ich wusste es! Aber Mütter wissen oft erstaunlich wenig, jedenfalls von den wichtigen Dingen. Ich beschloss, mein neues Geheimnis lieber mit Nora zu teilen.
    Wir trafen uns an der Parkmauer und ich holte das Pendel heraus. Dann erzählte ich alles. Von Oma, von den Fragen und vor allem von den Antworten, von den schönen, den wunderbaren Antworten. Nora flüsterte jetzt.
    »Ich will wissen, ob Anton in mich ist.«
    War er. Wir erfuhren außerdem, dass sie in der Mathearbeit eine drei Minus bekommen würde und dann fiel uns erst mal nichts mehr ein. Also gingen wir zum Bäcker und kauften bunte Gummischlangen, die, die aussehen wie Spaghetti, und dann setzten wir uns in den Park, schluckten sie zur Hälfte runter und zogen sie wieder raus. Das gurgelte lustig und alles, was wir an dem Tag noch aßen, schmeckte nach Cola.
    »Ich weiß noch was«, sagte Nora. »Lass uns fragen, wann wir sterben.« Wir hatten große Angst vor dem Tod. Also nicht vor dem Tod an sich, sondern davor, dass eine von uns vielleicht früher sterben müsste, wegen einer Krankheit oder bei einem Unfall. Dann wäre die, die übrig bleibt, ganz

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