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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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alleine. Um das zu verhindern, hatten wir einen Plan geschmiedet, nämlich im Alter von ungefähr 90  Jahren Hand in Hand gemeinsam von einer Klippe zu springen. Ein klares Ende, ohne Dahinsiechen und Einsamkeit im Altersheim. Doch jetzt gab es einen Plan B. Wir legten uns auf die Wiese und Nora nahm das Pendel.
    »Werde ich älter als 90 ?«, fragte sie und das Pendel begann, vor und zurück zu schwingen. Ja.
    »Werde ich 91 ?«
    Das Pendel bewegte sich von links nach rechts. Nein.
    »Werde ich 92 ?«
    Nein. Bei 94 schließlich schwang das Pendel vor und zurück. Wir stießen die Luft aus, die wir angehalten hatten – 94 war ein gutes Alter um zu sterben. Dann war ich dran, und ich führte die Fragen in der gleichen Weise aus, bis das Pendel bei 95 meinen Tod bestätigte. Wir jubelten, legten uns auf den Rücken und strampelten mit den Beinen. Wir würden alt werden, richtig alt! Und da ich ein Jahr älter war als Nora, würden wir gleichzeitig sterben, hurra! Um das Ergebnis für alle Ewigkeiten schwarz auf weiß auf Papier zu bannen, schrieben wir es fein säuberlich auf einen Zettel, dessen Rand wir mit dem Feuerzeug ankokelten, dann steckten wir ihn in ein Döschen, spuckten hinein und vergruben es im Park, der einmal ein Friedhof gewesen war, was uns dem Thema angemessen erschien. Dort liegt es wahrscheinlich bis heute.

8 Die Müslifamilie fährt in den Urlaub,
trifft ein Frankfurter Würstchen und
schließt einen Pakt mit dem Teufel.
    An der beschlagenen Windschutzscheibe unseres roten Opel Caravan nahm ein Fußabdruck, Größe sechsunddreißigeinhalb, Gestalt an. Meine Mutter war in Ferienstimmung. Ihre Schuhe lagen unter dem Sitz, die frisch lackierten Zehennägel schimmerten beige-golden. Angeblich der letzte Schrei, das hatte sie jedenfalls in der Brigitte gelesen. Aus den Lautsprechern heulte Celine Dion, dass das Leben früher spaßiger war, aber diese Tage leider, leider Vergangenheit sind. Die Kassette hatte ich an einer der französischen Autobahnraststätten gekauft, die ich so gerne mochte, weil es sich dort, nur eine Dreiviertelstunde von zu Hause entfernt, sofort nach Urlaub anfühlte und ich mit meinen Französischkenntnissen angeben konnte. Bonjour Madame, oui c’est tout, au revoir.
    Celine Dion war unser musikalischer Kompromiss, poppig genug für mich, klassisch genug für meine Mutter. Für meinen Vater war es die Hölle, aber das war für ihn sowieso alles außer Schubert (»Das deutsche Lied. Total unterschätzt!«). Nach zwölf Jahren Ehe wusste er allerdings, dass sein Hoheitsgebiet einen Meter von seinem Flügel entfernt endete.
    Auf der Rückbank lagen der Rucksack mit dem Reiseproviant und ein Stapel Wolldecken, denn bei Temperaturen unter 20  Grad bekam meine Mutter Angst, dass ihr lebenswichtige Organe abhanden kommen könnten. Dazwischen saß ich. Und ich hatte zu tun! Denn es war ja nicht so, dass ich mich faul herumkutschieren lassen würde, nein, als vorbildliche und einzige Tochter unterstützte ich meinen Vater natürlich beim Fahren. Ich verrenkte mich so weit, bis ich zwischen meinen Eltern hindurchschauen und die Straße überblicken konnte und lenkte imaginär mit, setzte den Blinker, beschleunigte, überholte; es war wie Computerspielen, nur besser.
    Trotzdem machte ich das nicht zum Spaß. Es galt, eine Sauerei zu verhindern, denn beim Autofahren wurde mir schlecht. Immer. Am schlimmsten war der Weg zu Oma und Opa im Schwarzwald, der ausschließlich aus kurvigen Landstraßen bestand. Kurz vor dem Ziel gab es eine Art Plattform mitten im Wald, die genug Platz zum Wenden bot. Man konnte aber auch einfach sinnlos im Kreis darauf herumfahren, was mein Onkel gerne tat und meine Cousinen und Cousins vor Freude kreischen ließ. Mich nicht, und obwohl ich ihn bat, damit aufzuhören, drehte er – hihi – noch eine Extrarunde. Danach lachte er dann nicht mehr.
    Meine Mutter war nach jahrelanger Erfahrung deutlich besser auf derartige Krisensituationen vorbereitet. Deshalb befand sich auch immer eine Rama-Dose im Handschuhfach unseres Autos. Nur für den Fall, dass mein Vater es nicht mehr rechtzeitig schaffte, anzuhalten. Warum ausgerechnet eine Rama-Dose? Nun, aus drei Gründen.
    Erstens hatten wir immer Rama im Haus. Da die gute deutsche Markenbutter teuer und kostbar war, diente sie bei uns ausschließlich als Brotaufstrich. Gekocht und gebraten wurde hingegen mit Rama, das war schon bei meiner Oma so und hatte schließlich niemandem geschadet, also führte meine

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