Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Mutter diese Tradition fort.
Zweitens waren die Rama-Dosen recycelbar und als ausgespülte Plastikbehälter zum überallhin mitnehmen »unglaublich praktisch« (Mama) beziehungsweise »unglaublich peinlich« (ich). Man kann Essen in ihnen transportieren. Man kann Blumen in ihnen pflanzen. Und man kann sogar Kinder mit ihnen großziehen.
Als ich mit drei Jahren immer noch in die Windel machte und mich weigerte, das Töpfchen zu benutzen, schnitt Oma Stuttgart kurzerhand ein paar Zacken in eine Rama-Dose, setzte sie mir auf und sagte: »Ein König setzt sich nun mal auf den Thron, wenn er Geschäfte zu erledigen hat.« Überwältigt von dieser Logik ließ ich mich nieder und verlangte nach einem Zepter. Schwierig wurde es erst einige Monate später, als meine Eltern versuchten, mir den Thronbesuch OHNE Krone schmackhaft zu machen, aber das ist eine andere Geschichte.
Drittens erleichtert der Restgeruch des Streichfettes, der auch durch mehrmaliges Spülen nie ganz verschwindet, das Übergeben ungemein. Rama, es lebe das Frühstück!
Aber dieses Mal blieb die Rama-Dose im Handschuhfach und das Essen drin. Wäre ja auch schade drum, die guten Dinkelbrote! Mit Bio-Gouda und Gürkchen! Während mein Vater nach dem fünften Brötchen verlangte, fing es draußen an zu regnen. Die Wassertropfen perlten langsam an den Scheiben herab. Neun Sekunden brauchte ein Tropfen für den Weg vom großen Zeh bis zur Ferse. Neun Stunden hatten wir noch vor uns, bis wir in Südfrankreich ankommen würden.
Eigentlich wollten wir schon einen Tag eher losfahren, am ersten Ferientag, aber dann gab es noch so viel zu tun im Haus. Jemand musste putzen und spülen und packen, jemand musste die Rosen im Garten zurückschneiden und eine Liste erstellen, was vor dem Urlaub noch alles erledigt werden muss (die Rosen zurückschneiden). Dieser Jemand war meine Mutter, und sie hatte schlechte Laune. Schimpfend stampfte sie die Treppen rauf und runter und trug Dinge von A nach B. Mein Vater hatte sich derweil in seinem Arbeitszimmer hinter einem Bücherstapel verbarrikadiert, denn auch er hatte noch einiges abzuarbeiten, bis er ohne schlechtes Gewissen entspannen konnte. Und das wollte er, zur Not auch mit Gewalt. Dafür war der Urlaub ja schließlich da.
Während in Haus und Garten die Urlaubsvorbereitungen auf Hochtouren liefen, saß ich am Fenster und überlegte, was ich im letzten Leben wohl verbockt hatte, dass ich mit diesen Eltern bestraft wurde. Alle anderen Familien schafften es nämlich, pünktlich in den Urlaub zu fahren, manche sogar zu einer bestimmten Uhrzeit. Selbstverständlich hatten sie bereits Tage vorher Listen erstellt und Wäsche gewaschen und Koffer gepackt, sodass die Kinder einfach nur ins Auto hüpfen mussten und sogleich mit Michael Jackson (aus dem CD -Player) und Kartoffelsalat (aus der Tupperdose) bespaßt wurden. Sie fuhren dann in ein Hotel an die Adria oder flogen nach Fuerteventura in ein All-Inclusive-Hotel, in dem es Animateure gab und viele andere Kinder. Nach dem Urlaub kamen sie braungebrannt wieder und zeigten stolz ihre frischen Narben, die sie von irgendeiner neuen Wassertrendsportart hatten.
Nicht so bei uns. Ein fester Termin machte meiner Mutter Magenschmerzen, denn sie wusste genau, dass mein Vater Züge grundsätzlich nur erwischte, wenn sie Verspätung hatten. Und wie das am Flughafen wäre, wollte sie gar nicht erst ausprobieren. Nein, wir hatten unser Auto und das Zelt, und nach einigen Jahren konnte ich alle Strände der Nord- und Ostsee blind an der Beschaffenheit ihres Sandes erkennen. Gut, wir waren auch schon in Italien gewesen und in Dänemark, und seit einigen Jahren verbrachten wir die Pfingstferien immer auf dem Campingplatz in Südfrankreich.
Meine Mutter sagte gerne: »Wir sind eben autark«, und erst als ich ein paar Jahre später in einem Aufsatz ebendieses Wort verwendete – ich schrieb: »Anna hatte den Bus verpasst, denn sie war wie immer autark« – und Frau Homeier den Satz rot unterschlängelte sowie ein großes Fragezeichen danebenmalte, erfuhr ich, dass »autark« kein Synonym für »unpünktlich« ist.
Unterdessen hatte der Regen aufgehört und die Celine-Dion-Kassette war einmal durchgelaufen. Da fing meine Mutter an zu singen.
»Drei Gäns’ im Ha-ber-stroh …«
Nein, bitte nicht.
»… sa-ßen da und wa-ren froh.«
Ich war zu alt für so was. Mein Vater offenbar nicht. Kanonerprobt begann er von vorne, während meine Mutter weitersang.
»Kommt der Bauer
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