Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
gegaaaangen …«
Argh, jetzt kam die zweideutige Stelle. Peinlich.
»… mit ’ner langen Stangen.«
Ich vergrub den Kopf unter dem Nackenkissen. Warum taten sie mir das an? Sie waren doch im Urlaub, nicht bei der Arbeit.
Sowieso, ständig musste mich meine Mutter blamieren. Zum Beispiel bei Karstadt, wenn ich mich von der Umkleidekabine aus suchend nach ihr umschaute und sie zwischen Kleiderstapeln winkte und »Hu-huuu!« rief. Das sieht geschrieben zugegebenermaßen relativ unspektakulär aus. Es war eher ein » HU - HUUU !«, eine Terz mit leichtem Vibrato, schätzungsweise irgendwo im Bereich des hohen F. Kurz, so hoch und laut und unpassend, dass die anderen Kundinnen vor Schreck ihre Funktionsjacken fallen ließen, die sie sich aufgrund der stickigen Kaufhausluft unter die Arme geklemmt hatten.
Oder wie meine Mutter nieste. Ihr Niesen war kein niedliches »Hatschi«, so ein unterdrücktes mit zugehaltener Nase für feine Damen. Eher ein » HUATSCHIUHA !« nach dem Motto ›alles raus, was keine Miete zahlt‹. Mit ihrem Tremolo brachte sie das Windspiel in der Küche zum Läuten und Menschen an den Rand des Wahnsinns. Und an Weihnachten, in der Kirche, hob sich ihre geschulte Stimme nicht nur von dem Einheitsbrei der Gemeinde ab, sie sang mit meinem Vater auch noch zweistimmig. Zweistimmig!
Meine Mutter war laut. Unangepasst. Emanzipiert. Im Großen und Ganzen ziemlich fabelhaft, nur nicht in den Augen einer pubertierenden Tochter.
Jetzt drehte sie sich nach hinten und deutete mit einem Kopfnicken meinen Einsatz an, den ich knallhart ignorierte. Sie zuckte die Schultern und performte den Bauern.
»Er ruft: Wer do, wer do, wer do?«
Der Bauer verwandelte sich in eine giggelnde Gans.
»Drei Gi-ga-gi-ga-gi-ga-gä-hä-häns im Haberstroh.«
Ich schüttelte den Kopf, da entdeckte ich, wie im Auto neben uns zwei Kindernasen an der Scheibe klebten. Die dazugehörigen Gesichter lachten lautlos. Über uns? Über uns! Bestimmt sah es anders aus, wenn sich Reisende hinter der Scheibe ganz normal unterhielten oder aber sangen. Guck mal, die machen ein Hauskonzert auf der Autobahn, las ich von den Lippen der Scheibenkinder ab. Hahahaha!
Plötzlich fühlte ich mich gar nicht mehr zu alt fürs Singen, eigentlich war es ja wohl eher so, dass die Hosenscheißer da drüben zu klein waren, um irgendwas zu verstehen. Nämlich wie schön es sein kann, Musik zu machen. Einen Kanon zu singen. Und ja, auch eine Gans zu imitieren. Also los, ich war an Bord, grölte »… sa-ßen da und wa-ren froh«, und dann schnitt ich den Scheibenkindern Grimassen. Ätsch. Wir gaben dann noch einige weitere Perlen des deutschen Liedgutes zum Besten, »Hejo, spann den Wagen an« und »Es tönen die Lieder«, und meine Eltern mussten schwören, dass sie das niemals meinen Freunden verraten.
In den Pausen, die wir alle zweieinhalb Stunden machten, erntete ich vorwurfsvolle Blicke, weil ich jedes Mal ein Eis wollte. Was für eine Verschwendung! Mein Vater hingegen, der Einzige am Steuer, machte Lockerungsübungen. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken, beugte sich nach vorne, kopfüber, die Arme in die Luft gestreckt. Bei jedem Halt holte er sich an einem Kaffeeautomaten in der Raststätte einen Espresso, den er schweigend trank und dabei auf dem Autodach Klavier spielte.
Wir fuhren an hügeligen, gelben Feldern vorbei, die in der Abendsonne orange leuchteten.
»Hab ich es nicht gesagt?«, rief meine Mutter. »Der Ginster steht schon in voller Blüte.«
Sie blätterte in ihrem schwarzen Taschenkalender, wo sie jedes Jahr im Urlaub alle wichtigen Details notierte (Außentemperatur, Laune, Flora und Fauna, bereits erledigte oder noch zu leistende Einkäufe).
»Letztes Jahr war er nämlich schon im Mai knallgelb.«
Kurz war es still. Mein Vater und ich hielten den Atem an. Na? Meine Mutter drehte sich nach hinten und grinste. Sie sah aus, als würde sie gleich einen dreckigen Witz erzählen.
»Ich bin ganz beginstert!«, sagte sie.
Kein Wunder, dass sie die Einzige war, die über ihre Witze lachte. Ihr fehlte einfach das Pokerface. Ich hingegen verzog keine Miene.
»Verstehste? Begeistert – beginstert.«
»Ja, Mama. Echt witzig.«
Unser Wortspiel. Jedes Jahr aufs Neue.
Nach einer Nacht auf der Autobahn fuhren wir am nächsten Vormittag durch eine Landschaft, die so französisch aussah, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn sich die Olivenbäume eine rote Gauloise ansteckten. Jetzt hatten wir nur noch zwanzig
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