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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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zog sie ihr Bikinioberteil aus und legte sich in den Halbschatten, wo sie sofort einschlief.
    Durch die Äste sah ich das Meer glitzern und hörte gedämpfte Geräusche vom Strand herauf, Kinderlachen und Mittelmeerwellen, die sanft heranrollten und wieder verschwanden. Ich wollte ins Wasser, und zwar sofort! Leider war es erst ein Uhr mittags, und die unantastbare Regel lautete: Keine Sonne zwischen zwölf und drei. Hautkrebsgefahr und, Kind, Falten bekommst du obendrein und später heulst du dann, wenn du vor dem Spiegel stehst und aussiehst wie sechzig, dabei bist du erst vierzig. Was mit vierzig passieren würde, interessierte mich in diesem Moment aber überhaupt nicht. Ich konnte mir ja nicht einmal vorstellen, zwanzig zu sein.
    Ich ging also nicht zum Strand, sondern mit meinem Vater in den kleinen Laden unten an der Straße, wo uns die Besitzer schon kannten. Wir kauften Obst, Gemüse und Olivenöl direkt aus dem Kanister. Dabei tat der Verkäufer, Monsieur Alfons, so, als würde er mich nicht mehr erkennen, da ich in dem einen Jahr »eine kleine Dame« geworden sei. Er sagte: »Prenez ce pain, c’est vraiment bien«, obwohl, eigentlich sagte er: »Prönee sö päng, sä wräma biäng«, und wir freuten uns über den südfranzösischen Dialekt, der sich anhörte, als würden Knallerbsen zerplatzen. Vielleicht mochten wir ihn auch deshalb so gerne, weil er klang wie der Dialekt bei uns zu Hause.
    Mein Vater spendierte noch eine Orangina und wir machten uns vollbepackt auf den Weg zum Zelt. Als wir ankamen, hatte meine Mutter bereits Madame Gerard ausfindig gemacht, die nicht weit von uns wohnte und jedes Wochenende aus Marseille anreiste. Sie kannten sich aus den letzten Jahren und führten seit einiger Zeit eine Brieffreundschaft, was bedeutete, dass sie sich zweimal im Jahr über die wichtigsten Ereignisse ihres Lebens informierten (wer ist gestorben, wer wurde geboren, wer hat seinen Job verloren). Außerdem hatte meine Mutter offenbar auch mit dem kompletten restlichen Campingplatz Freundschaft geschlossen, während wir gerade mal eine Viertelstunde weg waren
    Sie schaffte es einfach nicht, grußlos an Fremden vorbeizugehen, ein Problem, das uns oft in, sagen wir, Schwierigkeiten brachte. Schwierigkeiten der harmlosen Art zwar, aber dafür waren sie hartnäckig. Redselige Menschen stürzten sich auf meine Mutter wie Straßenhunde, die um einen Knochen betteln. Und dann hatte man sie am Hals. So wie das Frankfurter Würstchen, ein ebenfalls langjähriger Gast des Campingplatzes. Er war ein Junggeselle aus Hessen, der immer mit seinem Motorrad nach Frankreich fuhr und so gerne wie ausführlich von den Straßen schwärmte, die so viel besser seien als die in Deutschland. Damit das Würstchen sich nicht einsam fühlte, trank mein Vater von Zeit zu Zeit abends ein Glas Rotwein mit ihm und hörte sich seine Monologe an, während meine Mutter, die ihn angeschleppt hatte, schon im Zelt lag und schlief. Das nannte man dann wohl Arbeitsteilung. Natürlich war das Frankfurter Würstchen auch dieses Jahr angereist und winkte fröhlich, als wir zwei Stunden später endlich zum Strand spazierten. Ich verdrehte die Augen, worauf mir meine Mutter einmal kräftig in die Seite boxte.
    »Sei nicht so unhöflich!«
    »Ach, ist doch wurst.«
    Meine Mutter drehte sich weg, damit ich nicht sah, wie sie grinste.
    Und dann, endlich, waren wir am Strand! Es war perfekt. Jedenfalls die erste halbe Stunde. Dann wollte ich Softeis, Pommes und außerdem Fotos machen lassen von dem Typen, der im Fotoladen arbeitete und mit seiner Kamera um den Hals am Ufer entlanglief. Wenn man Glück hatte, wurden die Fotos sogar im Schaufenster ausgehängt, und man konnte für einen Tag lang ein Star sein! Meine Mutter holte unbeeindruckt den Fotoapparat sowie eine Packung Butterkekse aus der Tasche.
    »Stell dich mal ans Wasser, ich mache ein Foto von dir. Und wenn du Hunger hast: hier.«
    Sie verstand es einfach nicht. Es ging nicht um Hunger, es ging um Appetit. Und Butterkekse waren nun mal kein Softeis. »Außerdem kochen wir später lecker Ratatouille«, sagte sie noch und vertiefte sich wieder in ihr Buch.
    Man muss wissen, dass meine Eltern sehr stolz auf ihre Kochkünste waren und sich durch die spartanischen Arbeitsbedingungen auf dem Campingplatz (ein Gaskocher, eine Pfanne, ein Kochtopf) erst recht angespornt fühlten. Da zauberten sie Abend für Abend Gerichte aus frischen Zutaten, handgepflückt, mit Kräutern der Provence garniert und

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