Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Zahnpasta mit Menthol verwenden, auch keine Heilkräuter oder ätherischen Öle. Vermieden werden sollte Lärm. Unruhe. Stress. Kaffee ist verboten. Tee auch. Alkohol und Rauchen sowieso. Also alles, was Spaß macht. Außerdem soll man die Tropfen so lange wie möglich im Mund behalten, bevor man sie schluckt. Meine Mutter gurgelte ständig mit irgendwas, und immer wenn sie gerade den Mund voll hatte, erzählte ich ihr einen Witz und sammelte dafür Punkte. Für einen roten Kopf gab es fünf, für Aus-dem-Zimmer-gehen zehn und für Verschlucken inklusive Hustenanfall zwanzig.
Dann ist es so, dass bei einer einfachen Erkältung mindestens acht verschiedene homöopathische Mittelchen ausgewählt werden müssen, die eine ausgeklügelte Kombination und Einnahme erfordern. Dreimal am Tag eine Pille einschmeißen und fertig? Viel zu langweilig. Einmal pro Stunde! Mindestens. Im akuten Fall auch gerne alle zehn Minuten, denn nur steter Tropfen höhlt den Stein. Hat ja auch niemand gesagt, dass Gesundwerden ein Spaziergang ist.
Manchmal fand ich Kranksein aber auch gut. Wenn ein Vokabeltest anstand, zum Beispiel. Ich war gerade vierzehn und hasste die Schule, was sich in den nächsten Jahren auch nicht mehr ändern würde, und deshalb war ich nicht unglücklich darüber, dass ich mal wieder mit Bronchitis im Bett lag. Doch plötzlich fiel mir ein, dass heute Donnerstag war. Donnerstag! Da war mein Tanzkurs. Der schönste Termin der Woche.
»Wer zu krank für die Schule ist, kann auch nicht tanzen gehen«, sagte meine Mutter.
»Aber dann verpasse ich die neue Figur im Cha-Cha-Cha«, heulte ich.
»Dann holst du sie eben nächste Woche nach.«
»Ich hasse dich!«
»Keine Diskussion. Und nimm deine Medizin.«
Das war hart. Mein bester Freund Florian und ich machten gerade den Bronze-Tanzkurs, bei dem es zum ersten Mal eine Abschlussprüfung gab. Sie fand schon in wenigen Wochen statt und es würde extra eine Prüferin anreisen, von der wir gehört hatten, dass sie sehr streng sein sollte. So würden wir es doch nie schaffen bis zum Super-Goldstar!
Ich rief Florian an.
»Rate mal, wer heute nicht tanzen geht.«
»Nein!«
»Doch. Ich bin krank.«
»Ja, man hört es.«
Wir bemitleideten mich beide ein bisschen, dann sagte Florian: »Nimm doch eine Aspirin.«
»Eine was?«
»Na, eine Kopfschmerztablette.«
»So etwas gibt es bei uns nicht.«
»Oh. Ich glaube ich habe noch was hier, warte mal kurz … ah, da ist es ja. Das ist noch viel besser als Aspirin. Ich bin gleich bei dir.«
Eine halbe Stunde später warf Florian Steinchen an mein Fenster, damit meine Mutter nichts mitbekam. Ich öffnete die Tür und empfing ihn so würdevoll, wie es einem Teenager mit speckigen Haaren und in einem zweiteiligen Schlafanzug möglich ist. Leise gingen wir die Treppe hoch – Vorsicht, die vierte Stufe knarzt – und setzten uns aufs Bett. Florian holte die Packung aus seinem Rucksack.
»Was ist da drin?«
»Schmerzmittel, Koffein und Vitamin C.«
Das hörte sich gut an.
»Wie viele nimmt man davon?«
»Eine.«
Ich nahm drei. Und war eine halbe Stunde später wieder gesund. Ach, Grippostad! Retter einer kranken Seele und eines schwachen Körpers. Nur gute Menschen können solche Wunderdinge erfinden, so viel war klar. Dann schlichen wir uns raus und gingen tanzen.
Als ich wieder nach Hause kam, empfing mich meine Mutter mit offenen Armen. Um mir eine zu scheuern.
»Wo warst du?«
»Tanzen.«
»Und was bitte ist DAS HIER ?« Sie hielt mir die leere Grippostad-Packung vors Gesicht. »So etwas nehmen wir in diesem Haus nicht!«
Die Arme. Da hatte sie jahrelang versucht, mir alternative Heilmethoden nahezubringen, und jetzt das: Schmerzmittel! Und Koffein! Nur weil die Tochter keine Lust hat, im Bett zu bleiben und sich auszukurieren, dabei gehört Leiden doch dazu, wenn man krank ist. Jedenfalls als gute Protestantin. Sie schickte mich zurück ins Bett und rief mir hinterher: »Außerdem unterdrückt das die Krankheit und sie bricht dann an anderen Stellen des Körpers wieder aus.«
Verrückt. Und doch: An den darauffolgenden Tagen stellte ich mich nackt vor den Spiegel und sah nach, ob sich bereits irgendwo Furunkel gebildet hatten. Hässliche Geschwüre, die unter der Haut am Oberarm langsam größer würden und schließlich aufbrächen und nässten. Beulen, die mich entstellten. Ausschlag, der mein Gesicht übersäte. Nichts davon passierte, doch ich wollte meinen Körper lieber nicht herausfordern.
Im
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