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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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Kilometer Landstraße vor uns. Mein Vater drosselte das Tempo, ich kurbelte das Fenster herunter. Da, am Horizont blitzte es auf, blau, glitzernd, mit weißen Schaumkronen.
    »Herrlich«, sagte mein Vater. »Jetzt dauert es nicht mehr lange.«
    Er lehnte sich zurück, drückte die Arme durch und schaute stolz aus dem Fenster, ganz so, als ob er es wäre, der das Meer erfunden hatte. Seine Augen hinter der runden, goldenen Brille blinzelten. Der Ozean, das Tor zur großen weiten Welt. Unendliche Möglichkeiten. Meine Mutter kaute mit offenem Mund eine Fruchtschnitte.
    Aus einem Feldweg fuhr ein Traktor mit Anhänger auf die Straße und fädelte sich vor uns ein.
    »Halt, mach langsam!«, rief meine Mutter und griff meinem Vater ins Lenkrad. Er reagierte sofort, schaltete den Warnblinker ein und betätigte das Bremspedal. Schnell und doch sanft, Pianist durch und durch. Meine Mutter hielt sich an der Kopfstütze fest. Der Traktor brummte mit 25  Stundenkilometern die Straße entlang, die Autoschlange hinter uns wurde immer länger. Einige Fahrer machten zaghafte Überholversuche. Mein Vater wurde übermütig, fuhr nah auf. Mutter warf ihm einen Seitenblick zu.
    »In Frankreich darf man das«, sagte er.
    Die letzten Minuten fuhren wir am Meer entlang, parallel zur Strandpromenade, dann fädelten wir uns in den Kreisverkehr ein, in dem eine einzelne, hagere Palme stand, der man ansah, dass der Mistral immer vom Meer weht. Direkt dahinter lag der Campingplatz, in einem kleinen Kaff mit einer Disco, einem Hafen und ein paar Geschäften, wo man anzügliche Postkarten kaufen konnte, auf denen Frauen in Stringtangas am Strand posieren, außerdem aufblasbare Krokodile und Sonnenöl der Marke »Monoï de Tahiti« mit Kokosduft.
    Entdeckt hatten wir den Platz vor ein paar Jahren, als wir mit dem Auto quer durch Südfrankreich fuhren: Camargue, Côte d’Azur, Provence. In der Provence hatte es uns am besten gefallen, wegen der Unaufgeregtheit, der Landschaft und der Leute, die nicht so schicki-micki waren, wie meine Mutter nicht müde wurde zu betonen (natürlich fuhr sie trotzdem gerne mal im Urlaub nach St. Tropez oder Cannes, nur um danach befriedigt zu verkünden, dass es auf unserem Campingplatz eben doch am schönsten sei).
    Das Campinggelände war weitläufig und lag auf einem kleinen, mit Pinien bewaldeten Hügel, direkt am Meer. Wir fuhren an einem Holzschild vorbei, auf dem »Sahara« stand. Dort ging es zum einzigen baumlosen Areal, auf dem sich hauptsächlich Wohnwagen befanden, vor denen dicke, sonnenverbrannte Deutsche auf ihren kleinen Campingstühlen saßen und schwitzten.
    Eigentlich träumte ich ja von nichts anderem, als dass wir einmal unser Zelt in der Sahara aufstellten, denn der Sinn eines Sommerurlaubs lag ja wohl darin, sich so oft wie möglich in der Sonne aufzuhalten und am ersten Schultag mit goldgebräunter Haut neidische Blicke auf sich zu ziehen. Aber meine Eltern wollten mit den Sahara-Urlaubern nichts zu tun haben – »Mallorca-Deutsche!« – und das mit den Wohnwagen verstanden sie auch nicht. Das schöne am Campingplatz sei doch schließlich die Natur, und da sitzen diese Menschen in einem Miniaturwohnzimmer mit allem Luxus, den sie sonst auch haben und starren Abend für Abend in den Fernseher. Wir folgten also wie immer dem Weg, der steil nach oben führte, zu terrassenförmigen Bereichen, die durch Natursteine voneinander abgetrennt waren.
    Da, ein freies Plätzchen! Zwei Pinien standen in perfektem Hängemattenabstand zueinander und lieferten den dringend benötigten Schatten, außerdem waren die Nachbarn so weit entfernt, dass man beinahe von Privatsphäre sprechen konnte. Meine Mutter juchzte vor Freude, mein Vater parkte das Auto und wir packten das Zelt aus, ein kleines Drei-Mann-Iglu, in dem wir lagen wie die Sardinen, Papa links, Mama in der Mitte und ich rechts.
    Ich klopfte die Heringe mit dem Hammer in den sandigen Boden und kam mir sehr nützlich vor, mein Vater befestigte die Hängematte an den Bäumen und fragte bei allem, was er tat, meine Mutter, ob es ihr so recht sei. Als das Zelt stand, räumten wir das Auto aus. Das war nicht viel Arbeit, denn wir besaßen weder einen Tisch noch Stühle, nur Isomatten und drei Messer, drei Gabeln und drei Löffel, sowie ein scharfes Messer, einen Teelöffel, drei Emaillebecher, einen Topf, eine Pfanne, eine Espressokanne und einen Gaskocher.
    »Es braucht halt nicht viel zum Glücklichsein«, sagte meine Mutter und freute sich. Dann

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