Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
mit Liebe beträufelt, und die verzogene Tochter wollte lieber essen gehen. In ein überteuertes Restaurant mit Meerblick, wo Stofftischtücher die billigen Plastiktische nur unzureichend verdeckten und der Geruch von altem Fett aus der Küche waberte. Dabei war es ja gar nicht so, als hätte ich das Essen meiner Eltern nicht gemocht, nein, aber ich hätte mich gerne in Schale geworfen, wäre unter Leute gegangen und hätte mich von dem französischen Kellner anflirten lassen, und zwar ohne dass meine Mutter, wenn die Rechnung kommt, durch die Zähne pfeift und ein bedeutungsschweres »Hui!« ausstößt. In anderen Familien (das wusste ich, weil ich schon mal dabei gewesen war), nahm der Vater diskret die Rechnung an sich und beglich sie, ohne zu murren.
Einmal in jedem Urlaub allerdings gönnten wir uns den Luxus einer Holzofenpizza vom Imbiss, der zum Campingplatz gehörte. Die nahmen wir natürlich mit ans Zelt, wo es einfach gemütlicher war. Außerdem gab es da noch einen Vorrat an Rotwein, den mein Vater bei dem Weinhändler seines Vertrauens besorgte und in leere Wasserflaschen abfüllen ließ. Sah doof aus, schmeckte aber, sagte er. Und es war günstig.
Doch in diesem Urlaub änderte sich etwas. Wir waren zu einem der vielen Märkte gefahren, die jeden Tag in einer anderen Stadt stattfanden und danach durch die Straßen gebummelt, bis die Sonne unterging. Auf dem Heimweg schließlich hatte uns ein Hunger gepackt, den keiner von uns ignorieren konnte. Es war spät, die Läden hatten zu und am Zelt erwartete uns nur Baguette vom Vortag und matschige Butter. Ich witterte meine Chance.
»Warum halten wir nicht kurz hier?«, sagte ich, als mein Vater sich in den Kreisverkehr am Ortseingang einfädelte, und zeigte auf das große goldene »M«, das hinter einer Zierhecke hervorblitzte. Meine Eltern zuckten zusammen. Das M des Grauens! Das war Hochverrat! Schließlich hatten sie mir jahrelang eingeschärft, dass Fast Food böse ist und McDonald’s der Teufel. Dass sie niemals dort waren, tat nichts zur Sache (»Ich muss auch nicht aus einem Flugzeug springen, um beurteilen zu können, wie bescheuert das ist.«).
Ohne ihre Behauptung zu hinterfragen, hatte ich ihnen lange geglaubt und Gerüchte von Kindergeburtstagen, die bei McDonald’s stattfanden und damit endeten, dass alle gemeinsam kotzten, hatten meine Abscheu noch verstärkt. Außerdem hatte ich, wie jeder normale Mensch, Angst vor dem hauseigenen Clown Ronald McDonald, der vor jeder Filiale überlebensgroß auf die Besucher wartete und dabei hämisch grinste. Also schlossen Nora und ich einen Pakt, dass wir NIE bei McDonald’s essen würden (genauso wie wir NIE über Rot gehen wollten und NIE auch nur eine einzige Zigarette rauchen), und wenn in der Radiowerbung eine sich satt und glücklich anhörende Frauenstimme »McDonald’s ist einfach gut!« sang, sangen wir einfach lauter und ersetzten das »gut« durch »schlecht«. Ätsch, so einfach war das in unserer kleinen, schönen Welt.
Doch in der letzten Zeit war ich schwach geworden und hatte mich von Freunden ein paar Mal in die goldene Hölle schleppen lassen. Denn wenn man dazugehören wollte, traf man sich nun mal nicht im Reformhaus. Ich aß allerdings ausschließlich Pommes und Chicken McNuggets mit süß-saurer Soße, denn die Burger machten mir Angst mit ihren überdimensionalen Zwiebelringen, der Gurke und der Mayonnaise.
Trotzdem – ich hatte gesündigt. Aber wenn McDonald’s der Teufel war, dann würde ich gerne in die Hölle kommen. Hauptsache, es gab Pommes. Und zwar die besten Pommes der Welt: Goldgelb, knusprig und weich zugleich, mit nicht zu viel Salz.
Genau das erzählte ich dann auch meinen Eltern, während mein Vater zum dritten Mal den Kreisverkehr umrundete, um Zeit zu gewinnen. Schließlich willigten sie, schwach vor Hunger, ein. Wir fuhren auf den Parkplatz, auf dem südfranzösische Jugendliche cool herumhingen und rauchten, und betraten das Restaurant, wo ich meine Eltern, die sich gerade hinsetzen und auf den Kellner warten wollten, an den Tresen lotste. Wir bestellten dreimal Pommes (groß und mit viel Ketchup, denn anders als in Deutschland waren die Tütchen kostenlos, und das nutzten wir aus). Zum Mitnehmen. In diesem Urlaub machten wir noch fünfmal Stopp am Kreisverkehr. Und ich musste gar nichts mehr dafür tun, meine Mutter erledigte das.
9 Das Müslimädchen hat die Schnauze voll von Homöopathie und nimmt Drogen oder so ähnlich. Dann sinniert es über
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