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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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Zeichentrickfiguren,
die in seinem Körper hausen.
    Ich war bereits drei Jahre Mitglied in diesem Verein, der sich Familie nennt, als meine Eltern beschlossen, ohne mich in den Urlaub zu fahren. Sie verkauften mir das natürlich besser und sagten so was wie: »Kind, wir müssen anderen Menschen beibringen, wie man Musik macht. In Italien. Für den Strand ist keine Zeit. Du würdest dich nur langweilen.«
    Ich glaubte ihnen kein Wort. Sie wollten mich loswerden! Wollten die Flitterwochen nachholen, bei denen ich auch schon gestört hatte, schmusen, Wein trinken und Erwachsenengespräche führen und ihrer einzigen Tochter den Urlaub vorenthalten. Aber so nicht! Ich würde mich wehren, ich wusste nur noch nicht, wie.
    Eine Woche später reiste meine Patentante an, meine Eltern verabschiedeten sich mit vielen Küsschen, stiegen ins Auto und waren weg. Hinterhältiges Pack. Bis zum Abend hatte ich keine Zeit mehr, über einen Plan nachzudenken, denn meine Patentante verstand etwas von ihrem Job und lenkte mich mit allerlei Spielen, Geschenken und Geschichten ab. Aber im Bett kam die Erinnerung wieder. Und die Wut. Und gerade als noch etwas anderes dazukam, was sich wie Heimweh anfühlte, dabei war ich doch zu Hause, passierte es. Ich wurde krank. So krank, dass das Fieber Brandlöcher in die Bettdecke fräste und jeder Atemzug in meiner Brust rasselte wie eine mexikanische Mariachi-Band. Ich war quasi tot.
    Der Arzt diagnostizierte dann doch nur eine Bronchitis, aber meine Mutter flog trotzdem sofort nach Deutschland zurück und bezahlte eine Menge Übergepäck, denn ihr schlechtes Gewissen darüber, dass sie ihr Kind alleine gelassen hatte, wog schwer. Gut so. Ich hatte gewonnen, und vor allem hatte ich diesen Menschen, die glaubten, über mich bestimmen zu können, ihre Grenzen aufgezeigt.
    Bei diesem Gedanken ging es mir schlagartig besser. Die Mutterliebe, die Wadenwickel und die Hühnerbrühe taten ihr Übriges, und nach ein paar Tagen war ich gesund genug, um mit meiner Mutter nach Italien zu fliegen. Wenn man ganz genau hinschaut, kann man auf den Bildern im Fotoalbum übrigens mein maliziöses Lächeln erkennen.
    Ich hatte jedenfalls meinen Urlaub, und ich bekam sogar noch mehr: eine chronische Krankheit. Quasi als Bonus. Als hätte ich einmal die Tür geöffnet und könnte sie jetzt nicht mehr schließen, weil sie klemmt, schaute die Krankheit im Zwei-Wochen-Rhythmus herein und setzte sich gemütlich auf meinen Brustkorb, bis er quietschte. Spastische Bronchitis. Die Symptome waren unangenehm genug, dass die Krankheit aber auch noch so einen beknackten Namen hatte, war zu viel. Auf dem Schulhof riefen sich die Kinder gegenseitig »Ey, du Spasti!« zu, und damit war nichts Nettes gemeint. Ach, was hätte ich gegeben für einen gebrochenen Arm oder einen Bänderriss, irgendwas zum Angeben, aber ich war eben nur der Spasti mit dem Inhaliergerät, der auf Klassenfahrten, Skifreizeiten und den Konfirmandenausflug verzichten musste, weil er mal wieder krank war.
    Meine Eltern litten am meisten. Jetzt hatte das Allergiekind auch noch eine chronische Krankheit, wo sollte das bloß hinführen? Dabei hatten sie doch immer alles richtig gemacht und mich in den Ferien extra auf den Bauernhof geschickt, damit ich mich mit den Schweinen im Schlamm suhle. Zur Abhärtung. Doch aufgeben kam nicht in Frage. Wie auch? Sie hatten ja noch ihren Glauben.
    Ihr dazugehöriger Altar befand sich gut versteckt im Schlafzimmer. Genauer: im Schlafzimmerschrank. Reihenweise Flaschen aus dunklem Glas, gefüllt mit durchsichtigen Flüssigkeiten. Behälter mit weißen Kügelchen. Cremetuben. Tabletten. Pülverchen. Granulate. Beipackzettel, die lose in den Fächern lagen und wirkten, als hätte man sie bei einer heimlichen Flucht aus ihrem dunklen Gefängnis ertappt.
    Meine Eltern glaubten an Homöopathie. Das Gute daran ist, dass es der Gesundheit nicht schadet. Das Schlechte, dass man eben auch nicht weiß, ob es tatsächlich hilft, wenn in einem Medikament der Wirkstoff nicht mehr nachgewiesen werden kann, weil er so stark verdünnt ist. Aber vor allem ist Homöopathie anstrengend. Denn es gibt Regeln, die eingehalten werden müssen. Viele Regeln.
    In der Besteckschublade meiner Eltern liegt zum Beispiel ein kleiner pastellfarbener Plastiklöffel, der nur dazu da ist, homöopathische Lösungen einzunehmen, da ein Löffel aus Metall die »Erinnerungseigenschaften« der Flüssigkeit beeinflussen könne. Während der Behandlung darf man keine

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