Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
liest und prophezeit, dass im nächsten Jahr ein großer Urlaub ansteht.
Das Kaffeesatzlesen hatte Ada von ihrer türkischen Mutter gelernt, und wie man die besten Köfte der Welt macht auch. Außerdem Gözleme, Sigara Böreg˘i, Sucuk und Supangle, einen Pudding mit Schoko- und Pistazienstücken, gegen den jede Milchschnitte schmeckte wie ein abgelaufener Schokonikolaus. Aber die türkische Küche hielt noch mehr Überraschungen bereit. Dazu muss man wissen, dass wir am Anfang des Monats beim Blick auf den Kontoauszug regelmäßig dachten, wir seien jetzt endlich reich (Eltern, Bafög) und erst mal Kleider kaufen gingen. Und Kaffee trinken. Und am Wochenende in ein paar Bars. Nach zwei Wochen kam dann regelmäßig jemand nach Hause und berichtete zerknirscht, dass der Bankautomat anstatt des dringend benötigten Geldes nur den Spruch »Heute ist leider keine Auszahlung mehr möglich« ausgespuckt hatte. Meistens war dieser Jemand ich. Aber zum Glück gab es Ada.
»Komm, wir gehen einkaufen«, sagte sie, wedelte mit ihrem letzten Zwanzig-Euro-Schein und schleppte mich in den Supermarkt, wo sie den Einkaufswagen mit einer Palette Tetrapak-Wein, zehn Packungen Nudeln, einer Flasche Gewürzketchup und ein paar Bechern Naturjoghurt füllte. Am Ende blieb sogar noch genug Geld für Zigaretten übrig. Weil der Gestank nach kalter Asche morgens in der Küche unerträglich war, hatte ich ziemlich schnell auch mit dem Rauchen angefangen, dann riecht man das ja nicht mehr so. Außerdem passte das Rauchen zu meinem neuen Image. Ich wollte nämlich auf gar keinen Fall so werden wie meine Eltern. Wenn die alles richtig gemacht hatten, dann machte ich jetzt eben alles falsch.
»Du wirst sehen, das reicht für die nächsten zwei Wochen«, sagte Ada, als wir unsere Einkäufe auf das Warenband legten.
Zu Hause warf sie die Nudeln in kochendes Wasser und verrührte Ketchup und Joghurt. Dann goss sie die Nudeln ab, schüttete sie auf den Teller, gab die Soße drüber und schob ihn mir hin.
»Los, probier!«
Ich schaute auf die braune Pampe. Gut, dass ich wusste, aus was sie bestand, sonst hätte ich sie im Leben nicht angerührt. Und einen großen Fehler gemacht. Denn die Pampe schmeckte! Irgendwie würzig und frisch und ganz anders als alles, was ich bisher mit Nudeln in Verbindung gebracht hatte. Außerdem war die Zubereitung kinderleicht, ungefähr auf einer Stufe mit Brote schmieren oder Kochbeutelreis. Damit würde ich die nächsten zwei Wochen vermutlich überleben.
Während wir aßen, öffnete sich die Tür und Hansen kam herein, wie immer wenn gerade jemand mit dem Kochen fertig war. Gierig schaute er auf unsere Teller.
»Oh, Carbonara?«
»Nee, türkische Zweikomponentensoße«, sagte ich und schob ihm meinen Teller hin.
Hansen nahm einen Bissen.
»Schmeckt gut«, sagte er. »Fast wie Currywurst.«
Dann runzelte er die Stirn. »Aber sicher, dass das türkisch ist?«
Ada warf ihm einen abschätzigen Blick zu.
»Da ist Joghurt drin, also ist es türkisch«, sagte sie.
Und wenn sie es nicht wusste, wer dann.
Ach, das WG -Leben war herrlich! Wir waren eine richtige kleine Familie, nein, besser, eine Wahlfamilie. Wir teilten alles: Gedanken, Kleider, Krankheiten und Essen. Es war eine Art Abhärtung für das, was danach kommt, das richtige Leben, mit Beruf und Verantwortung und all diesen Dingen. Da wir jeden Abend in der Küche saßen und Wein oder Bier tranken, sammelten sich mit der Zeit in unserem Flur so viele leere Flaschen an, dass Giovanni Trapattoni seine helle Freude an uns gehabt hätte. Er kam aber leider nie zu Besuch. Und obwohl wir jedes Mal einen anspruchsvollen Parcours absolvieren mussten, um die Wohnungstür zu erreichen, mochten wir die Idee, dass die Pfandflaschen unsere Rente sichern würden. Irgendwann nahmen wir die Hindernisse auch gar nicht mehr wahr. Holgers Eltern allerdings schon. Als sie das nächste Mal zu Besuch kamen, standen sie stumm und mit vor Entsetzen geweiteten Augen in der Tür, und ich konnte hören, wie seine Mutter seinem Vater zuflüsterte: »Also doch Alkoholiker!«
»Die Flaschen müssen weg«, sagte Holger später, als wir in der Küche saßen und überlegten, wie wir den Schein hart arbeitender Studenten vor unseren Eltern wahren konnten.
»Meine Eltern streichen mir das Geld, wenn es hier das nächste Mal noch so aussieht. Die denken, ich gebe das nur fürs Saufen aus.«
»Gut, dann bringt ab jetzt immer derjenige, der das Bad putzt, die Flaschen zurück«, sagte
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