Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Marilli. Eine Putzfrau war in unserem Budget schon lange nicht mehr drin. »Das kann ja wohl nicht so schwer sein.«
»Bad putzen ist schon ätzend genug«, rief Hansen. »Da will ich nicht auch noch Flaschen zurückbringen.«
»Dann halt der, der die Küche putzt«, schlug Marilli vor. »Passt thematisch eh besser.«
Das Rückgeld, beschlossen wir, sollte in die WG -Kasse fließen. Die WG -Kasse war eine leere Raviolidose, die auf dem Kühlschrank stand und hauptsächlich Staub beinhaltete. Mit dem Geld von den Pfandflaschen könnten wir uns dann auch endlich eine neue Küchenlampe kaufen.
»Wo wir gerade dabei sind«, sagte Marilli. »Ich fände es gut, wenn solche Gespräche künftig einmal im Monat stattfinden.«
»Warum das denn?«, fragte Ben.
»Zur Krisenprävention.«
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich erfolgreich verdrängt, dass zu einer Familie auch immer Diskussionen gehören. Aber nun gab es keinen Zweifel mehr: Der Familienrat war zurück! Auch wenn er von da an WG -Plenum hieß.
In den folgenden Wochen stellte sich heraus, dass die Leute, die nie die Küche putzten auch die Flaschen nicht wegbrachten, im Gegenteil – der emotionale Druck wurde offenbar durch die verdoppelte Arbeit noch verstärkt und hemmte sie komplett am Ausüben jedweder körperlichen Tätigkeit. Die Aufgabe blieb dann wie jede andere auch an denen hängen, die ab und zu mal einkaufen gingen. Aber irgendwann reichte es Hansen und Marilli, und erneut wurde ein WG -Plenum einberufen. Thema: Wie bringt man faule Menschen zum Arbeiten.
»Ganz einfach«, sagte Ben. »Wir brauchen einen Causus stimuli.«
»Einen was?«, fragte ich.
»Einen Causus stimuli. Das ist ein äußerer Anreiz. Hab ich im Psychologie-Seminar gelernt. Wie bei Pawlows Hunden.«
»Causus stimuli, so ein Unsinn. Das hast du dir doch gerade ausgedacht«, fuhr Marilli dazwischen, die im Gegensatz zu Ben tatsächlich Psychologie studierte und nicht Marketing.
»Aber die Idee ist gut. Wir könnten …«, sie rieb sich an der Nase wie Wickie, der kleine Wikinger, kurz bevor er eine gute Idee hat.
»Wer die Flaschen wegbringt, darf das Pfand behalten!«
Eine Woche später feierten wir eine Halloween-Party. Als wir am nächsten Morgen aufwachten, standen überall Aschenbecher und Gläser herum – nur die Bierflaschen waren weg. Hm. Komisch. Wir fingen an, den gröbsten Müll wegzuräumen, was lustig aussah, da einige von uns offenbar in ihrer kompletten Zombie-Montur geschlafen hatten. Wo war eigentlich Holger? Vermutlich schlief er noch. Wir klopften an seine Tür.
»Aufstehen, Holger. Gemeinschaftsputzen!«
Keine Antwort.
»Na, der kommt schon raus, wenn er die Musik hört«, sagte Ada und drehte die Anlage auf.
Einige Minuten später hörten wir den Schlüssel in der Wohnungstür. Es war ein Geist, oder besser Holger, der noch als Geist verkleidet war und mit rotgefrorener Nase in die Wohnung stolperte.
»Wo kommst du denn jetzt her?«, fragte ich.
»Ich hab durchgemacht und dann dachte ich: Kann ich ja gleich mal die Pfandflaschen wegbringen«, sagte Holger und schwenkte leere Plastiktüten. Ein irres Grinsen überzog sein weißgeschminktes Gesicht. »Voll geil, 60 Euro! Nur für mich!«
Na super.
»Dann kannst du jetzt ja wenigstens beim Putzen helfen«, sagte Ada und hielt Holger die Mülltüte hin.
»Ey, später. Ich muss jetzt erst mal pennen. Ich bin total durch.«
Holger wohnte dann nicht mehr lange bei uns.
Als sein Zimmer frei wurde, suchten wir einen neuen Mitbewohner. Wir hatten allerdings nicht damit gerechnet, dass die Bewerber nach ihrem Besichtigungstermin einfach in der Küche sitzen blieben. Sie wollten gar nicht mehr weg. Nur einer ging noch mal los und kaufte einen Kasten Bier, der durfte dann bei uns einziehen. Eigentlich hieß er Jens, aber wir nannten ihn Holger. Wir waren eben Gewohnheitsmenschen. Von da an gab es ständig neue Mitbewohner, weil immer irgendjemand ein Auslandssemester machte. Irgendwann kamen wir auf die Idee, die Abstellkammer zu vermieten, um unsere WG -Kasse aufzubessern. In die Anzeige schrieben wir: »Dein Zimmer ist nur sechs Quadratmeter groß, aber dafür sehr günstig. Es hat Tageslicht, allerdings durch ein Fenster, das sich nicht öffnen lässt.«
Die Leute rannten uns die Bude ein.
Einer von ihnen war Habib, der während des Bürgerkriegs im Alter von neun mit seinen Eltern aus dem Libanon nach Frankreich geflohen war. Als der französische Einbürgerungsbeamte meinte, dass ein
Weitere Kostenlose Bücher