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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Seyboldt
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Raucher sind, wollen wir auf jeden Fall überall rauchen.«
    Gut, irgendeinen Tod musste ich ja sterben. Und Marilli offenbar auch, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.
    »Demokratie halt«, sagte Holger und nickte bekräftigend, »Demokratie ist echt wichtig.«
    Dagegen konnten wir natürlich nichts sagen.
    Marilli, die bisher im Schneidersitz dagesessen und still das Etikett ihrer Bierflasche abgepult hatte, entknotete ihre Beine und fragte: »Und wie machen wir das mit dem Putzen?«
    Das passte. Marilli, die eigentlich Marie-Luise hieß, sah aus, als würde alles Schmutzige einfach an ihr abperlen. Wie Teflon.
    »Also ich finde ja, dass das Zusammenleben zu sechst auch ohne niedergeschriebene Regeln möglich sein muss«, sagte Holger. »Wenn man nicht mal das schafft, wie soll dann jemals Anarchie funktionieren?«
    Hansen zog die Augenbrauen hoch.
    »Grade war es noch Demokratie.«
    »Anarchie, Demokratie – Hauptsache keine Diktatur«, sagte Holger und öffnete mit dem Feuerzeug den Kronkorken der nächsten Bierflasche. Langsam redete er sich warm. »Freiheit ist ja immer auch die Freiheit des Andersdenkenden. Hat Rosa Luxemburg damals gesagt, als sie davor warnte, dass die russische Revolution eine Diktatur der Kommunisten wird.«
    »Keine Ahnung, was er uns damit sagen will«, raunte mir Marilli von der Seite zu. Ich schüttelte stumm den Kopf. Solche Gespräche hatte es bei uns zu Hause nicht gegeben. Da hieß es: »Du kannst dir aussuchen, ob du samstags lieber das Waschbecken putzt oder den Hof fegst.« Ende der Diskussion.
    »Und was heißt das jetzt konkret ..?«, fragte Marilli.
    »Dass geputzt wird, sobald sich jemand über den Dreck beschwert«, sagte Holger.
    »Einspruch!«, rief Marilli. »Ich möchte nicht die Zicke sein, die alle zum Putzen auffordert, nur weil ich ein anderes Verständnis von Sauberkeit habe als du. Ich finde, wir brauchen klare Regeln.«
    Zustimmendes Raunen.
    »Ehrlich, Leute«, sagte Holger. »Wenn wir die Vorstellung haben, dass eine andere Gesellschaft möglich wäre, müssen wir auch dafür kämpfen! Im Kleinen! Wenn man sich nicht mal in den eigenen vier Wänden traut, Revolution zu machen, wo denn dann?« Er hob seine Bierflasche.
    »Ich fänd ja eine Putzfrau ganz geil«, sagte Ada in die darauf folgende Stille hinein.
    Bens Augen leuchteten auf. »Hammeridee!«, sagte er anerkennend. Es war nicht schwer zu erkennen, welcher Film hinter seiner Stirn ablief. Ein Film namens »Die Sechser- WG  – ein Lotterleben«. Genau das, wovor mich mein Vater gewarnt hatte. Fand ich gut. Die anderen offenbar auch. Außer Holger.
    »Waaaaas?«, rief er. »Eine Putzfrau? Auf gar keinen Fall.«
    »Lass uns doch einfach abstimmen«, sagte Ada und hob die Hand. »Wer ist dafür?«
    Vier weitere Hände gingen in die Höhe.
    Holger verschränkte die Arme.
    »Das könnt ihr so was von vergessen. Ich geb doch mein Geld nicht für eine Putzfrau aus!«
    »Aha, das verstehst du also unter Demokratie?«, fragte Ada und schaute herausfordernd in die Runde.
    Ich lehnte mich entspannt zurück. Das war ja besser als Fernsehen. Langweilig würde es hier bestimmt nicht werden.
    Wurde es auch nicht. Denn wem wird schon langweilig, wenn man immer jemanden zum Reden hat, ob man will oder nicht. Wenn alle Unterhosen einen Blaustich haben, weil Ben noch schnell seine neue Jeans mit in die Waschmaschine gestopft hat. Wenn Holger alle mit seiner Idee ansteckt, ein Gemüseorchester zu gründen. Wenn Marilli immer friert, Holger aber Nebenkosten sparen will und sowieso findet, dass die Heizung im Badezimmer überflüssig ist, weil man da ja eh meistens unter der Dusche steht. Wenn man dringend Zigaretten braucht und jeden Mitbewohner nach Kleingeld fragt, weil der Automat nur Münzen nimmt. Wenn die Stromrechnung kommt und auf sechs Leute verteilt wird, das Fresspaket von den Eltern aber auch. Wenn jeden Monat Mottopartys gefeiert werden, die immer ausladender werden. Wenn die ganze WG im Sommer an den See fährt und abends alle merken, dass sie ihren Schlüssel vergessen haben. Wenn man auf dem Klo sitzt und einem auffällt, dass Ben mal wieder vergessen hat, Klopapier zu kaufen. Wenn man sonntagabends beim Tatort die wichtigste Stelle verpasst, weil alle wild durcheinander diskutieren, wer wohl der Mörder ist. Wenn Hansen eine Woche lang das Wohnzimmer in ein Animationsfilmset umfunktioniert. Wenn immer Essen im Kühlschrank ist, nur das eigene nicht. Wenn Ada einem nachts um vier aus dem Kaffeesatz

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