Muetter ohne Liebe
aufrichtiger. Wir würden sehen, dass Mutterliebe anderen Arten der Liebe ähnlicher ist, als es unsere idealisierten Vorstellungen zulassen wollen, und wir dürft en wahr-nehmen, dass es Nähe, Stolz, Zärtlichkeit und Zuneigung in der Beziehung der Mutter zum Kind gibt, aber auch Zorn und Grausamkeit, Distanz, Ambivalenz und Selektivität – in unterschiedlicher Dosierung – wie in anderen Liebesbeziehungen auch.
2.2 Die unhinterfragten Annahmen des Muttermythos
Zentraler Bestandteil des Muttermythos sind einige als ganz selbstverständlich geltende Annahmen, wie etwa:
• Mutterliebe ist selbstlos.
• Mutterliebe ist rein und ungetrübt.
• Mütter lieben alle ihre Kinder gleichermaßen.
• Alle Mütter lieben ihre Kinder.
• Eine Mutter ist unentbehrlich für ihr Kind.
Diese Annahmen werden im Folgen einer kritischen Überprüfung an der Realität unterzogen.
2.2.1 Die Selbstlosigkeit der Mutter
Die Selbstlosigkeit und Bedingungslosigkeit der Mutterliebe wird zwar immer wieder behauptet und in zahlreichen Liedern, Gedichten und Geschichten gefühlvoll gepriesen. In dieser Form existiert sie jedoch nicht – zumindest so gut wie nicht. Das Eigeninteresse der Mutter spielt schon bei den Motiven zum Kinderwunsch eine maßgebliche Rolle. So bekommen manche Frauen Kinder, um ihre eigene Lebensunzufriedenheit zu mildern. Das Leben ist irgendwie langweilig, die Arbeit vielleicht unbefriedigend und ohne spannende Perspektive, die Zukunft beängstigend. Als Mutter werden die Frauen versorgt, nicht nur finanziell, sondern vor allem mit Aufgaben und Sinn. «Der Kinderwunsch […] scheint mir eine Fluchtreaktion aus meinem damaligen Leben zu sein, das mir sehr unbefriedigend schien; das Kind sollte mir helfen, mich neu zu orientieren, besser, es sollte mich dazu zwingen.» (Zit. n. Spielhofer 1985, S. 26). Auch das Streben nach Macht und Bedeutung kann ein Motiv für einen Kinderwunsch sein. Das Kind ist hilflos und abhängig, es kann einen viele Jahre nicht verlassen, man kann darüber nach Belieben verfügen, es kann zur Verwirklichung von Wünschen und Erwartungen hin geformt werden. Eine solche Macht kann vielleicht im sonstigen Leben nicht erlebt werden.
Das Kind kann auch die Rolle eines Statussymbols haben. Kinder zu haben ist heute «schick», bedeutet Prestige. Wer dazugehören will, muss einen Säugling auf der Hüfte tragen oder einen Kinderwagen vor sich her schieben. Auch um den eigenen Eltern seinen Erwachsenenstatus zu demonstrieren und sich vor deren Dominanz zu schützen, kann ein Kind nützlich sein. Dann gibt es die Idee, durch ein Kind die eigene armselige und lieblose Kindheit kompensieren zu können. Die Gesellschaft des Kindes, seine Wärme, seine Zuwendung soll emotionale Defizite ausgleichen und die Mutter von ihrem eigenen Selbst erlösen. «Ich verspreche mir durch die Spontaneität eines Kindes, endlich selber spontan werden zu können.»
Zuweilen fungiert ein Kind auch als «Liebesbeweis» in einer Beziehung: «Ich habe mir nie ein Kind gewünscht, mein Mann aber ja», und, wenn eine Beziehung nicht gut läuft, hört man manchmal die schreckliche Überlegung: «Vielleicht sollten wir uns ein Kind anschaffen.» In einer lieblosen und unbefriedigenden Beziehung kann ein Kind mit der Aufgabe belastet werden, ein emotionaler Partnerersatz für die Mutter zu sein oder ein Verbündeter gegen den Partner. Die Psychologie spricht hier von «defizitorientierten» Motiven. Herrschen diese vor, soll das Kind in erster Linie eine Lücke im Leben der Mutter schließen, ein «Loch» füllen, einen Mangel beheben.
«Die Größe einer Mutter spiegelt sich in ihrer totalen Selbstlosigkeit wider», formulierte 1981 kurz und bündig der bekannte französische Arzt und Geburtshelfer Frédérick Leboyer. Die gute Mutter hat kein Selbst (zu haben), sondern soll vielmehr bereit sein, das eigene Selbst für die Bedürfnisse und Interessen des Kindes zu verleugnen, es hinzugeben, aufzugeben, wegzugeben. Andere wichtige Lebensinhalte, Ziele und Aktivitäten werden untergeordnet. Sie tut das fraglos, ohne im Gegenzug etwas (von ihren Kindern) zu erwarten oder zu verlangen und/ohne innerlich Frustration, Groll, Zorn, Enttäuschung oder Trauer zu verspüren.
Viele Zeugnisse von Müttern aus Vergangenheit und Gegenwart aber sprechen eine andere Sprache: «Mann und Kinder zu lieben, das macht eigentlich mein Glück aus. Warum falle ich dann immer wieder in eine traurige Stimmung?»,
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