MUH!
ich mich.
«Wie kommst du denn auf so bescheuerte Namen!», fuhr mich der Hund aggressiv an. «Tinka nannte sie Fliegi und Eintag!»
Das sollten jetzt bessere Namen sein?, hätte ich am liebsten geantwortet, aber mir erschien es nicht sonderlich ratsam, ihn noch mehr zu reizen. Auf der anderen Seite, was hatte ich schon zu verlieren, er wollte mich ja sowieso reißen?
«Du verstehst also», fragte mich der Hund, «warum ich dich töten muss?»
Ich entschloss mich, nicht weiter vorsichtig zu sein, und erwiderte patzig: «Weil ich keinen Geschmack bei der Namensgebung von Fliegen habe?»
«Werde nicht frech!»
«Du willst mich doch eh töten. Was kann mir also noch passieren?»
«Ich kann es besonders grausam tun», lächelte er böse.
Ich musste schlucken: «Das ist allerdings ein ziemlich gutes Argument gegen das Frechsein.»
«Du musst sterben, weil eine dusselige Kuh wie du nicht das Glück leben darf, das Tinka und mir verwehrt blieb.»
«Du gönnst anderen das Glück nicht?» Ich konnte es kaum fassen. Mir stand das Maul so weit vor Staunen auf, dass mir der Schnee hereinwirbelte.
«Ja», antwortete er knapp.
«So simpel ist das?»
«So simpel ist das», bestätigte er.
Das Glück hatte seine Feinde, das begriff ich nun. Seine größte Bedrohung kommt stets von außen, nicht von den eigenen Unzulänglichkeiten. Das vergisst man nur zu leicht, wenn man zu sehr mit sich beschäftigt ist.
Aufgewühlt fragte ich: «Hätte Tinka das gewollt?»
Old Dog hielt inne. Jetzt hatte ich geschafft, was bisher nur Radieschen hinbekommen hatte: ihn zu irritieren.
«Nein», antwortete er zögerlich, «das hätte sie wohl nicht.»
Ich spürte Hoffnung in mir emporsteigen, er liebte seine Tinka so sehr, wenn Old Dog ihr Andenken bewahren wollte, dann würde er mich womöglich verschonen.
«Vermutlich», sagte ich sanfter, «würde sie es sogar schrecklich finden.»
«Vermutlich», gestand er ein.
Meine Hoffnung stieg ins Unermessliche. Es war eine Hoffnung, wie sie nur dem Untergang Geweihte spüren, wenn sie glaubten, dem Tode noch mal von der Schippe springen zu können.
Noch sanfter legte ich nach: «Wenn Tinka noch leben würde und sie auch nur ein bisschen so ist wie ich, würde sie es sogar fürchterlich finden.»
«Sie ist aber kein bisschen wie du!», fuhr er mich an.
In diesem Moment ahnte ich schon, dass ich verspielt hatte.
«Und sie ist auch nicht mehr am Leben!», jaulte er mit allem Schmerz und all der Wut über das Schicksal, das ihm so übel mitgespielt hatte. Er jaulte und jaulte und jaulte, immer lauter, immer wahnsinniger, sein Geschrei hallte in den riesigen Felsen verzerrt wider. Hier und da löste sich dadurch bereits Schnee von den Hängen und fiel in den Abgrund. Mein letztes Fünkchen Hoffnung, dass er mich verschonen würde, erlosch.
Es dauerte, bis Old Dog sich wieder beruhigte. Dann standen wir uns eine Weile im Schneesturm gegenüber. Schweigend. Und während wir so dastanden, er vor Schmerz wahnsinnig, ich auf seinen Biss wartend, begriff ich etwas: «Du hast verloren.»
«Wieso?» Old Dog war sehr überrascht.
«Weil ich das Glück erlebt habe», erwiderte ich mit einem Mal ganz ruhig. «Das kannst du mir nicht mehr nehmen.»
Diese Bemerkung traf ihn, und er wusste dem auch nichts entgegenzusetzen.
Ich hatte wirklich gewonnen.
Auf meine Art.
Dachte ich.
Denn mit einem Mal lachte der Hund: «Oh, wen haben wir denn da?»
Er deutete mit seiner großen Pfote hinter mich. Ich drehte mich auf dem engen Pfad um und musste aufpassen, dass ich auf dem eisigen, steinigen Boden nicht mit den Hufen ausrutschte und in den Abgrund fiel. Wieder war es genau wie in meinen Träumen: Die Gestalt, die sich mir von weiter unten des geschlängelten Pfades näherte, war mein kleines, zartes Kalb.
Kapitel 62
«Ich werde dich verschonen», lachte Old Dog mir zu.
Ich konnte es nicht glauben. Sollte der Anblick meiner Kleinen ihn an sein eigenes Ungeborenes erinnern und ihn daher milder stimmen?
«Ich werde dein Kalb töten und deinen Mann, aber dich … dich werde ich verschonen. Du wirst ein Leben führen wie ich», grinste er, und sein rotes Auge glitzerte dabei noch unheimlicher als zuvor. «Dann haben wir beide gleich verloren!»
Hätte ich doch nur mein Maul gehalten!
Noch stand ich zwischen ihm und meinem Kind auf dem schmalen Pfad, er musste also über mich hinweg. Und dafür setzte er auch schon zum Sprung an.
«Lauf weg!», schrie ich der Kleinen verzweifelt zu.
Sie zitterte
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