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MUH!

MUH!

Titel: MUH! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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nicht, so kräftig war keine Kuh auf der ganzen weiten Welt. Dennoch musste ich es versuchen. Ich stieg also mit den Vorderhufen auf den Schneeberg und rief: «Ich bin gleich bei dir!»
    «Nein, Lolle», protestierte Radieschen, «das ist zu gefährlich.»
    «Ich rette dich», widersprach ich und betrat nun auch mit den Hinterhufen den Berg. Schon schlitterte ich gefährlich ab. Nur mit Mühe bekam ich wieder Halt, aber es war unmöglich, auch nur einen Schritt weiter zu gehen, ohne selbst in den Abgrund zu stürzen.
    «Lolle, sei nicht naiv», sagte ausgerechnet das naive Radieschen. «Stirb nicht unnötig. Du musst für deine Familie da sein!»
    Ich hielt inne. Durcheinander. Ich wusste, dass sie recht hatte, und dennoch, ich konnte sie doch nicht einfach so sterben lassen!
    Die Zeit lief uns davon. Radieschen ächzte immer mehr. Ihre Muskeln schmerzten, die Anstrengung, sich irgendwie auf dem Vorsprung zu halten, war für sie ungeheuerlich.
    Von der anderen Seite des Hügels hörte ich Hilde rufen: «Ich liebe dich, Radieschen!»
    Hilde hatte also damals bei den Wagjus begriffen, was sie Radieschen bedeutete, auch wenn sie es sich nicht hatte anmerken lassen. Jetzt, im Angesicht des Todes, wollte sie Radieschen die Worte sagen, nach denen diese sich so sehr gesehnt hatte. Auch wenn jene Worte nicht die Wahrheit waren, versuchte sie ihrer Freundin doch, mit ihnen einen letzten glücklichen Moment auf Erden zu schenken.
    «Hilde, du bist eine schlechte Lügnerin …», lachte Radieschen freundlich. Jeden Augenblick würde sie abgleiten, «… aber du musst nicht mir zuliebe schwindeln …», redete sie weiter.
    Ihre Kräfte schwanden.
    «… ich hatte ein glückliches Leben. Es war perfekt, selbst wenn es nicht immer perfekt war …»
    Es war ihr nicht mehr möglich, sich zu halten.
    «… weil ich jeden Augenblick gelebt habe …»
    Sie hörte auf zu kämpfen.
    «… tut ihr es auch.»
    Jetzt wehrte sie sich nicht mehr gegen das Unvermeidliche.
    Mein Radieschen lächelte mir noch einmal zu.
    Dann fiel sie in den Tod.

Kapitel 64
    Dieser Moment war wie eingefroren in der Zeit.
    Noch nie zuvor verspürte ich einen solchen Schmerz.
    Ich konnte noch nicht mal weinen, so sehr tat es weh.
    Mein Radieschen war tot.
    Es würde nie mehr singen.
    Nie mehr blödes Zeug plappern.
    Nie mehr mich schnäuzeln.
    Es war fort.
    Für immer.
     
    In diesem Moment der eingefrorenen Zeit beschloss ich, meine Tochter Radieschen zu nennen.
     
    Und dann war dieser Moment vorbei.
    Denn ich hörte die Stimme von Old Dog.
     
    Die Zeit beschleunigte sich wieder auf Normaltempo. Old Dog schrie irgendwo aus der Ferne hasserfüllt: «Ich werde euch alle töten!»
    Ich blickte den Abgrund hinab: Der Schneesturm war mittlerweile etwas schwächer geworden, und so konnte ich erkennen, dass der Hund – vielleicht zehn Kuhlängen unter uns – auf einem Felsvorsprung lag. Er blutete aus vielen Wunden, aber er lebte.
    Oh nein!
    Er lebte wirklich!
    Bis Radieschen auf ihm landete.
    Das brach dem Höllenhund endgültig das Genick.
    Und rettete ihr das Leben.
    Das Monster, das das Glück vernichten wollte, wurde endgültig besiegt.
    Von einer glücklichen Kuh.
    Die unten auf dem Felsvorsprung jubelte: «Gut, dass ich so gut gepolstert bin!»

Kapitel 65
    Die nächsten Tage waren hart: Die dünne Luft in den Bergen machte uns beim Anstieg auf den Gipfel genauso zu schaffen wie die Kälte, der Schnee und der Hunger. Wir ernährten uns von den wenigen eingefrorenen Bergblumen am Wegesrand. Glücklicherweise hatten wir uns aber bei den Wagjus ein solches Fettpolster angefressen, dass wir davon zehren konnten und es mir möglich war, meiner Kleinen weiter Milch zu geben. Und jedes Mal, wenn eine von uns vor Erschöpfung aufgeben wollte, waren die anderen mit Aufmunterungen zur Stelle, denn wir waren nun eine richtige Herde. Ach, was sage ich, wir alle hatten jetzt das Gefühl, eine große Familie zu sein. Alle für eine, eine für alle!
    In den Nächten, wenn wir uns in Höhlen oder hinter Felsen Schutz vor Schnee und Wind suchten, erzählten wir uns Geschichten, um uns von der Kälte und der Todesangst abzulenken. Jedoch handelte es sich bei diesen Geschichten nicht um die Legenden von Naia und Hurlo, es ging um ganz andere Helden. Unsere neuen Sagen trugen Namen wie diese:

Das weiße Kalb
    Das wunderbar weiße Kalb erklomm den Himalaja. Mit jedem Meter wurde der Wind schneidender, der Pfad glatter und die Luft dünner. Jedes andere Kalb hätte vor Furcht

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