MUH!
ungelenk unter meinen Bauch, um Schutz vor der Kälte zu suchen.
«Sie ist so süß!», kiekste Radieschen fröhlich. «Bitte, darf ich Tante sein, auch wenn ich keine echte Tante bin?» Dabei hüpfte sie ganz aufgeregt um mich und das Kalb herum und schaute mich dabei aus großen Augen an: «Bitte, bitte, bitte!»
Ich musste lachen: «Du wirst die beste Tante der Welt!»
«Oh ja, das werde ich!», jubelte Radieschen.
«Was iste denn die Name von die Kleine?», fragte Giacomo.
Darüber hatte ich mir bisher keine Gedanken gemacht, es war immer zu viel los gewesen, und sie war ja auch früher zur Welt gekommen als erwartet. Unwillkürlich sah ich zu Champion, doch der lächelte nur verlegen, offensichtlich hatte er darüber auch noch nicht nachgedacht.
Immer mehr Schneeflocken fielen, und Hilde stellte fest: «Ich möchte ja nur ungern die Namensfindung unterbrechen, bevor sie überhaupt richtig losgeht, aber wir brauchen einen geschützten Schlafplatz.»
Susi ergänzte: «Sonst braucht die Kleine auch keinen Namen mehr.»
Es klang brutal, aber sie meinte es durchaus besorgt. Wir fetten Kühe konnten die Kälte gut vertragen, aber mein kleines, dünnes Kälbchen nicht. In diesem Moment erfuhr ich das erste Gesetz des Mutterseins: Je mehr man sein Kalb liebt, desto mehr macht man sich Sorgen.
«Nicht sehr wahrscheinlich», meinte Susi, «dass hier irgendwo ein geeigneter Schlafplatz ist.»
«Dennoch müssen wir einen suchen», erklärte Champion entschlossen, und niemand widersprach ihm.
Die Herde setzte sich in Bewegung. Champion und ich nahmen die Kleine zwischen uns, damit sie möglichst windgeschützt war, und gingen ganz langsam, um sie nicht zu überfordern. Sie fror und bibberte, aber dennoch fühlte sie sich zwischen Mama und Papa geborgen.
Mama und Papa …
… das klang wunderbar.
Während wir so langsam durch den immer stärker fallenden Schnee den Pfad weiter nach oben zur Bergspitze wanderten, betete ich: «Liebe Naia, in den letzten Vollmonden hast du mir immer weniger Anlass gegeben, an deine Güte zu glauben, geschweige denn an deine Intelligenz. Oder überhaupt nur an deine Existenz. Ich bin immer wütender auf dich geworden, und, ehrlich gesagt, du kannst echt froh sein, dass du mir zwischendrin nicht im Dunkeln begegnet bist. Aber jetzt wende ich mich an dich: Bitte, bitte, bitte, lass mein Kleines nicht erfrieren! Lass uns einen Unterschlupf finden. Wenn du auch dieses Gebet nicht erhörst, dann verspreche ich dir: Ich werde nie wieder an dich glauben! Oder auch nur einen einzigen Gedanken mehr an dich verschwenden.»
In diesem Moment rief Hilde: «Da ist eine Höhle!»
Ich blickte hoch in den verschneiten Himmel, in dem ich Naia vermutete, und lächelte dankbar. Vielleicht hätte ich ihr schon früher mal drohen sollen.
Champion und ich führten unser Kalb langsam zum Eingang der Höhle, die tief ins Gestein ging. Wir traten ein, freuten uns, dem Schnee und dem schneidenden Wind entkommen zu sein, und begannen, uns aufzuwärmen. Die Kleine fror zwar noch, aber sie würde die Nacht überleben. Sie trat an meinen Euter, und ich wusste genau, was sie wollte. Ich gab ihr Milch – ein Vorgang, der ebenso ungewohnt wie großartig war. Ungewohnt, weil ein lebendes Wesen aus mir die Milch zog und nicht ein kalter Melksauger, und großartig, weil ich meine Kleine nährte, ihr Leben und Kraft spendete und dabei mit ihr eine zärtliche Nähe herstellte, wie ich sie noch nie zuvor empfunden hatte.
Als sie sich satt getrunken hatte, legten wir beide uns auf den steinigen Höhlenboden hin, sie kuschelte sich an mich ran, bibberte aber dennoch weiter und fand daher nicht in den Schlaf. Zwar konnte ich sie etwas wärmen, aber es reichte nicht, damit sie sich ganz wohl fühlen würde. Mein Blick fiel auf Champion: Das Kalb brauchte in diesem Moment für die Geborgenheit nicht nur die Mama, sondern auch den Vater. Champion verstand sofort und legte sich zu uns, sodass wir beide die Kleine wärmten. Sie hörte auf zu zittern und schlief zwischen uns ein.
Der Rest der Herde schnarchte auch schon vor sich hin, während draußen vor der Höhle der Schnee aufhörte zu fallen. Die Nacht brach an, das Sternenlicht fiel schwach auf uns, da betrachteten wir Eltern immer noch unser kleines weißes, schlafendes Kind. Wir konnten uns einfach nicht an ihm sattsehen.
«Ich liebe sie», sagte ich zu Champion leise, damit ich die Kleine nicht aufweckte.
«Ich auch», erwiderte er, «so sehr, dass es schon weh
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