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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Hinrichs
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Versuchung und die Gefahr falscher Fährten groß, und man sollte sich hier lieber zurückhalten. Die meisten möglichen ‹Analogien› sind historisch viel zu weit entfernt, trivial oder aber in ihrem Wesen unvergleichbar, wie z.B. der Telegrammstil als Argument für den Ausfall von Präpositionen. An eine Verankerung im Deutschen sollte man vor allem dann denken, wenn ein Sprachzug auch zwanglos im Sprachwandel des Standarddeutschen auftaucht.

 
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VIERTES KAPITEL
DIE VERÄNDERUNGEN IM DEUTSCHEN
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21. VERÄNDERUNGEN DURCH SPRACHKONTAKT UND SONSTIGE
    Die Veränderungen des Deutschen, die in der jüngsten Zeit festgestellt worden sind, lassen sich in zwei große Gruppen teilen:
    in solche Veränderungen, die aus dem Englischen herüberkommen (‹Denglisch›), aus den Dialekten stammen ( Ich bin gerade die Uhr am Reparieren ) oder die einfach nur kurios sind: z.B. neue Wörter wie Nullwachstum oder neue Adjektive vom Typ die schrittweise Veränderung des Deutschen ; diese Züge haben z.B. Denkler u.a. (2008) untersucht;
    in solche Veränderungen, die nicht zufällig sind, sondern motiviert; die nicht dialektal sind, sondern den Standard betreffen; die nicht trivial sind, sondern das Sprachsystem langsam verändern – Züge also, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf Sprachkontakte, Mehrsprachigkeit und die neue Sprachsituation in Deutschland zurückgehen. Das sind vor allem Kasusschwankungen wie in dem Präsident _ oder ich verspreche es ihn , der Abbau der Übereinstimmung zwischen den Wörtern in wir rechnen mit viele_ interessierte n Jugendlich e , falsche Artikel ( der Klientel ) oder neue Steigerungen wie mehr interessanter .[ 1 ]
    Es ist nun nicht hilfreich, beide Sorten von Veränderungen zusammen in einen Topf zu werfen, weil dann die Veränderungen vom Typ 2 nicht mehr als das erscheinen können, was sie sind, nämlich als der output von multikulturellen Sprachkontakten, als kommunikativ bedingte Vereinfachungen der Grammatik. Es ginge so unweigerlich der Sprachkontakt und der von ihm erzeugte Druck als eine Bedingung des Sprachwandels verloren, und es entstünde leicht ein schiefes Bild, zumal dann, wenn das Material dem Normalbürger präsentiert wird.[ 2 ]
    Wir beschränken uns deshalb hier auf die zweite Sorte von Veränderungen, die vor allem grammatischer Natur sind, und begründen dies noch einmal linguistisch:
    Neue Wörter (lexikalische Ebene) sind in jeder Sprache relativ schnell da, können aber auch schnell wieder verschwinden oder werden durch andere ersetzt: power walking, wellness weekend oder media sale unterliegen kurzzeitigen Modetrends.
    Lautliche Einflüsse (phonetische Ebene) sind schwer nachzuweisen und können einem schwierigen Tabu (‹fremder Akzent›) unterliegen.
    Neue Bedeutungen (semantische Ebene) sind überhaupt schwer zu erkennen, weil sie sich deutsch geben ( am Ende des Tages; hatten Sie Spaß ?; es macht keinen Sinn ), aber eigentlich englisch sind. Kein Wunder, dass dieser Bereich des Kontaktes mit Migrantensprachen noch fast gar nicht untersucht ist.
    Wenn man sich dagegen auf Wortformen und Satzbau konzentriert (‹morpho-syntaktische Ebene›), kann man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Phänomene fallen mehr oder weniger ins Auge und sind nicht zu überhören; sie zeugen von der Stärke der Kontakte: je intensiver der Kontakt, desto größer der Einfluss; sie bilden sich direkt im mündlichen Kontakt aus, fast zum Greifen nah; sie wiederholen sich ständig; und sie sind systemrelevant , d.h. ab einer gewissen Stufe interagieren sie miteinander und verändern dann langsam auch das Sprachsystem. Wenn wir auf die Diskussion zurückblicken und das Material pauschal einschätzen, können wir diesen Veränderungen im Deutschen eine plausible Arbeitshypothese voranstellen:
    Es ist vollkommen augenfällig und über jeden Zweifel erhaben, dass die neuen Züge in der deutschen Umgangssprache ihre Parallelen, ihre Analogien, ihre ähnlichen Muster, ja auch ihre Wurzeln im Migrantendeutsch, in den neuen Mehrsprachigkeiten und zum Teil direkt in den Herkunftssprachen haben. Viele Phänomene lassen sich chronologisch zurückverfolgen, über die Ethnolekte der 1980er und 1990er Jahre bis hinauf zur Anfangsphase der neuen Sprachkontakte in den 1960er Jahren.
    Schauen wir uns die letzten

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