Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
hab (isch) gesehen; musstu reinmachen etc. hat ihr Standardmuster im Arabischen. Dort ist die Wortfolge VSO das Normale und in jedem beliebigen Durchschnittssatz realisiert. Dies sind die normalen arabischen Sätze:
faqadtu jamÄâatÄ« â¹ Verlor -ich Gruppe-meine⺠= â¹Ich habe meine Gruppe verlorenâº
fatahtu fÄá¹imah Äl-bÄb = â¹ Geöffnet hat Fatima die Tür⺠= â¹Fatima hat die Tür geöffnetâº
jÄâa asad â¹ Ist gekommen Asad⺠= â¹Asad ist gekommenâº
Für arabische Sprecher ist dies der Normalfall, mündlich wie schriftlich. Einen Einfluss des allgegenwärtigen arabischen Standards rundweg zu leugnen oder gar nicht zu erwähnen, kommt da schon einer kleinen linguistischen Sünde gleich.
Da Kiezdeutsch immer mündlich realisiert wird, darf man hier neben dem Arabischen, wo der Ausfall im System verankert ist, auch andere Hintergrundsprachen nicht auÃer Acht lassen, in denen die Wortfolge V SO zwar kein Standardmodell ist, abermündlich häufig vorkommt und dann immer mehr oder weniger emotional ist.
Russisch: Priechali gosti razliÄnye . â¹Es kamen so verschiedene Gäste.âº
Polnisch: WyÅmiewajÄ
siÄ niemcy z polaków . â¹Die Deutschen machen sich doch über die Polen lustig.âº
Auch im Deutschen sind solche Sätze möglich, gelten aber als â¹mündlich⺠oder als â¹emotionalâº: â¹ Genossen hab ich die Vorstellung sehr .âº
SchlieÃlich rutscht das Verb in vielen Migrantensprachen oft auch â¹automatisch⺠an die erste Stelle, wenn es der Satzbau erlaubt und das Subjekt ausfällt (sogenanntes â¹Pro-dropâº):
Bosnisch: _ DoÅ¡ao je oko tri sata . â¹Er ist um drei gekommen.âº
Russisch: _ Govorit tolâko gluposti . â¹Er redet nur Unsinn.âº
Die Erststellung des Verbs kommt also in so gut wie allen Migrantensprachen vor. Sie scheint so etwas zu sein wie die â¹natürliche⺠Ordnung mündlicher Mitteilungen.
Sehen wir uns jetzt den verwandten Typus an:
â Dann ich muss gehen zu mein Vater.
Hier steht ein Adverb am Anfang ( dann, später, neulich, niemals, manchmal etc.), das die Satzaussage zeitlich, räumlich oder modal platziert; darum heiÃt es â¹Rahmensetzerâº. Dieser Rahmensetzer steht â¹isoliert⺠vor dem eigentlichen Satz, dann kommt erst der â¹eigentliche⺠Hauptsatz ich muss gehen zu mein Vater . Man darf nicht vergessen, dass fast alle Migrantensprachen einfache Sätze nach dem Muster DANNICH MACHE DAS konstruieren, nach dem allgemeinen Rahmensetzer also mit einem normalen Hauptsatz weitermachen, z.B.:
Bosnisch: Posle toga lekar je joÅ¡ govorio sa bratom â¹Danachder Arzt hat noch gesprochen mit dem Bruder⺠= â¹Dann hat der Arzt noch mit meinem Bruder gesprochen.âº
Das Modell Dann ich muss gehen realisiert im Munde von Mehrsprachigen nur die Möglichkeiten der Herkunftssprachen, in denen nach dem Rahmensetzer ( dann, später, überhaupt etc.) der eigentliche Hauptsatz folgt. Heraus kommt das Kiezdeutsch-Modell Dannich muss gehen . Das eigentlich Besondere an diesem Muster besteht darin, dass nach dem Rahmensetzer die Wortfolge eines normalen Hauptsatzes folgt, was den syntaktischen Regeln des deutschen Standards widerspricht: â Später ich geh einkaufen .Dieses Modell kann man also mit allem Recht als eine Kopie aus solchen Migrantensprachen interpretieren, in denen diese Wortfolge normal ist.
Einige Bemerkungen zu den Fällen
Wir können die Besprechung der Kiezdeutsch-Züge nicht verlassen, ohne auf die Kasus wenigstens marginal einzugehen. Von einem einigermaÃen überschaubaren Gebrauch der vier deutschen Fälle kann man im Kiezdeutsch nicht sprechen. Dies war schon beim frühen Gastarbeiterdeutsch so, und die Verwurzelung des Kiezdeutsch im Pidgin schlägt hier voll durch. Ja, ein Kasusgebrauch mit korrekten Endungen wie z.B. in mit unseren Plänen wäre so etwas wie eine Ausnahme, ja ein Fauxpas, der gegen ungeschriebene Kiezdeutsch-Regeln verstieÃe. Das Ignorieren der Kasus mag deshalb ebenfalls so etwas sein wie ein typisches Alleinstellungsmerkmal, das eine scharfe Abgrenzung des Kiezdeutsch von der Standardsprache bewirkt.
Es dominiert ohne Zweifel eine Art Einheitskasus, der formal dem Nominativ oder dem Akkusativ ähnelt: mit mein Schatz; isch geh an Spiegel; mach isch in Schule .
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