Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
mit der Zeit als â¹etwas Eigenes⺠empfunden.
Im Arabischen können â¹genitivische⺠Abhängigkeiten ebenfalls durch reines Nebeneinander zweier Hauptwörter ausgedrückt werden: kalb âAnwar â¹Hund Anwar ⺠= â¹Anwars Hundâº, ibn Muḥammad â¹Muhammads Sohnâº, ummu zauj â¹Mutter Ehemann⺠= â¹Schwiegermutterâº, bÄb bayt â¹die Tür eines Hausesâº.
Die Russen haben ihr Modell aus einer Turksprache kopiert (vielleicht aus dem Tatarischen) und wenden es sehr ökonomisch an: vagon-restoran â¹Speisewagenâº, gorod-geroj â¹Heldenstadtâº, ženÅ¡Äina-vraÄâ â¹Ãrztinâº. Die Bulgaren nutzen das â¹zusammenhanglose⺠Prinzip sowohl für komplexe Wörter sort kartofi â¹Sorte Kartoffeln⺠= â¹Kartoffelsorte⺠als auch für ganze Wortgruppen: redica problemi â¹eine Reihe von Problemenâº.
In Zeiten der Globalisierung bildet den weiteren Hintergrund für alle sprachliche Beeinflussung â wie so oft â das Englische, das den zweigliedrigen Typus ohne Kasuszeichen oder sonstige Verbindungselemente über die ganze Welt verbreitet (Abschnitt 13), was belegt, wie effektiv und produktiv er sein muss: service center, cyber space, mail box, sex shop . Es war also nureine Frage der Zeit, bis dieses Modell seinen Weg auch in die deutsche Sprechpraxis finden würde. (Fast überflüssig zu erwähnen, dass dieses Prinzip das Chinesische, die andere groÃe Weltsprache, durchgängig beherrscht.)
Unbedingt festhalten muss man:
Das direkte Nebeneinanderstellen zweier Substantive ohne Kasuszeichen bildet in vielen (Migranten-)Sprachen ein erfolgreiches und effektives Modell der Wortverknüpfung. Es wird vom Englischen und vielen anderen Sprachen unterstützt und kann auf lange Sicht ein produktives Modell auch für das Deutsche abgeben.
Gegentendenzen des Genitivs?
Hiermit verbunden ist nun unweigerlich auch das, was man formal eine Gegentendenz nennen könnte (keine Bewegung ohne Gegenbewegung) â der Genitiv â¹wehrt⺠sich gegen seinen Untergang. Ab und an taucht er urplötzlich und scheinbar unmotiviert wieder im Sprachgebrauch auf (wo man ihn gar nicht mehr vermuten würde). Dies ist z.B. der Fall nach Präpositionen, bei denen er eigentlich gar nicht stehen dürfte. So hört man oft verkleidete â¹Versprecherâº, die jetzt gleich superdeutsch klingen: gemäà des Protokolls , entgegen des guten Vorsatzes . Sie hören sich an wie eine ad hoc gebildete Notlösung, weil andere Möglichkeiten blockiert sind oder aus einem anderen Grund nicht zur Verfügung stehen. Oder jemand möchte unbedingt hyperkorrekt sein und erwischt dann eine falsche Form. Das sieht dann so aus, als ob sich der alte Genitiv noch einmal kurzfristig erholte. Er springt aber nur ein für einen vermiedenen Dativ oder in ein â¹Kasuslochâº, sozusagen als LückenbüÃer â ein kleines syntaktisches Strohfeuer. Es sind und bleiben aber â â¹trotz⺠Genitiv â falsche Formen, die jedoch mit der gleichen Ruhe geduldet werden wie viele andere â¹falsche⺠Formen auch.
Seltsam und paradox mutet an: Die alte â¹richtige⺠Präposition mit Dativ, z.B. gemäà dem Bericht , wird intuitiv und automatisch vielfach schon vermieden , weil man ja auch sonst (falsch) sagt mit dies en Problem statt mit dies em Problem usw. Wir können nur feststellen, so paradox es klingen mag: Das Modell â¹Präposition + falscher Kasus⺠hat im momentanen Neudeutschen offenbar eine unwiderstehliche Anziehungskraft.
Halten wir zum Genitiv noch dies fest: Ein Vergleich von Schriftdeutsch und Umgangssprache würde wahrscheinlich erweisen, dass der alte Genitiv vom Typ das Haus des Vaters im Schriftdeutsch zur Zeit noch immer ziemlich stabil ist. Oft liest und hört man auch schon wieder Wendungen, die altertümlich oder eben nichtmündlich anmuten (vielleicht im Munde von konservativen Politikern oder aufgestiegenen Migranten): die Aufgabe des Volkes, die Regierung des Landes etc., die nur (aus welchen Gründen auch immer) einen altväterlichen, bislang vermiedenen Sprechstil wiederaufleben lassen.[ 5 ] Die alten Genitive sind dabei wie zurückweichende, überholte Relikte im Rückspiegel des Fahrt aufnehmenden Sprachwandel-Gefährts. Und die Modelle in den Migrantensprachen
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