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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Autoren: Uwe Hinrichs
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häufigsten sind hier die Fälle um das Personalpronomen ER, weil IHM und IHN auch phonetisch dicht beieinander liegen. Von hier aus geht es aber unaufhaltsam weiter in Richtung ‹normaler Objekte›:
    â€“ Ich vertraue meinen Bruder nicht mehr.
    Und auch feminine Substantive sind hier bereits betroffen:
    â€“ Er hat sich eine Behandlung unterzogen.
    Rein formal handelt es sich um echte Akkusative, die vollkommen korrekt gebildet sind. Sie widersprechen aber streng genommen dem Satzsinn, der unbedingt ein Objekt im Dativ fordert. Trotzdem scheint Akkusativ hier die Verständigung absolut nicht zu behindern: Das formale Kennzeichen des Dativs ( sein em Richter ) ist nicht mehr nötig. Und man nimmt dabei auch in Kauf, dass nur der Kontext entscheiden kann, ob er es seinem Richter (Einzahl) oder seinen Richtern (Mehrzahl) hat versprechen müssen.
    Vorschub wird der schleichenden Entdativisierung auch durch die lautlichen Verhältnisse geleistet, die dem Sprecher die Bildung der lästigen m -Formen ( seinem Richter ) erspart, indem erst - m und - n vernuschelt wird und dann irgendwann - n die Oberhandgewinnt. Dass hier die Phonetik ordentlich dem Sprachwandel beispringt, erkennt man daran, dass - m auch dort schwindet, wo es gar keine Endung ist. Wenn man ganz genau hinhört, kann man zuweilen diese Formen im Lautstrom erhaschen: er kam ate n los an; mit einer russischen N G; sie schufen sich ein Tande n Deutsch-Russisch .
    In kognitiver Hinsicht ist ‹Akkusativ› als künftiger Allzweck-Kasus offenbar vollkommen ausreichend, weil aus dem Kontext und der Situation immer klar genug hervorgeht, was jeweils genau gemeint ist. Auch wird bei Verben wie versprechen kognitiv sicher DATIV aktiviert, verstanden wird aber formal AKKUSATIV – und dieser Widerspruch wird nicht mehr als Widerspruch wahrgenommen, sondern als natürlich akzeptiert: eine Frucht der Mehrsprachigkeit. Mentale Konzepte wie VERTRAUEN, SICH UNTERZIEHEN, VERSPRECHEN, JEMANDEM ZUGESTEHEN sind offenbar allein für sich stark genug und können auf den genauen Kasusanzeiger verzichten:
    â€“ Die Frage ist, ob IHN der Ehrensold überhaupt zusteht.
    Dies ist im Übrigen ein schönes Beispiel für eine in der Umgangssprache allgemein wirkende Tendenz: Die formale Exaktheit des Ausdrucks wird reduziert, das erzeugt eine gewisse Vagheit, und siehe da, das Kommunikationsziel wird ohne weiteres erreicht. In der mehrsprachigen Situation werden sich dadurch die Erfahrungen mehren, dass der reduzierte ‹einfachere› Ausdruck im Prinzip genügt und obendrein noch Kapazitäten anderweitig freigibt. Die Botschaft ist: ‹Genauer Kasus ist nicht nötig, es funktioniert auch ohne.›
    Dass es beim Typus ich habe ihn versprochen/er hat ihn geholfen immer auch Beschränkungen gibt, an denen der Sprachwandel an vorläufige Grenzen stößt, lässt sich sehr schön zeigen am berühmten Klassiker von Verona Pooth
    â€“ ‹ Da werden Sie geholfen !›
    Im Grunde ist der Lacherfolg (und eben nicht: unverständiges Stirnrunzeln) schon der Beweis dafür, dass das zugrunde liegende Muster er hat ihn geholfen unbewusst bereits breit praktiziert wird. Das trifft aber voll nur auf maskuline Personen zu: * er hat sie geholfen ist entweder Dialekt oder grauslicher Sub-Substandard. Genauso ist es mit der Transformation eines * man hat Sie geholfen * da werden Sie geholfen , die eigentlich ebenfalls blockiertist, aber durch die Kenntnis von Da hat man ihn geholfen bereits ‹aufgeweicht› ist: Daher der Lacherfolg. Es ist eben schon ‹halb richtig›.[ 7 ]
Die ‹Mimikry› des Akkusativs
    Das Modell ‹Akkusativ für Dativ› ist im deutschen Sprecherbewusstsein bereits weit fortgeschritten. Am deutlichsten kommt dies nach Präpositionen zum Ausdruck: Die meisten wandern vom Dativ zum Akkusativ. Und da dieser etwas vorgibt, was er eigentlich nicht leisten kann, nennen wir dies ‹Mimikry› – eine Art Hochstapelei. Selbst in offiziösen Nachrichtensendungen hört man nur noch flächendeckend die Variante mit diese n Problem; aus den Bundestag; von den Plenum; unter den Gesetz; mit diesen Ergebnis.
    Und niemand, und zwar im Wortsinne: so gut wie niemand , sagt mehr – obwohl korrektes ‹Altdeutsch› – weder öffentlich noch privat (daher ‹?›):
    ? Mit diese m Problem muss man immer rechnen.
    ? Niemand schaffte es, aus
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